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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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an dein Gesicht, wie wollen wir das dann erklären? Also nimm dich bitte zusammen.«
    Widerstrebend gehorchte Prieß. Er versuchte, nicht durch die Nase einzuatmen, und folgte Alexandra durch die überladen möblierten Räume in das Arbeitszimmer. Er wollte rasch mit der Suche beginnen, doch der Anblick des bis unter die Zimmerdecke reichenden Regals, in dem Hunderte von Büchern dicht an dicht nebeneinanderstanden, versetzte seinem Enthusiasmus einen Dämpfer. Immerhin, so tröstete er sich, blieb es ihm erspart, sich durch diese Bibliothek hindurcharbeiten zu müssen. Seine Aufgabe bestand darin, die Wohnung nochmals gründlich zu durchsuchen, denn vielleicht verbarg sich irgendwo ein Hinweis, womit Diebnitz seine Botschaft chiffriert hatte.
    »Was bringt dich eigentlich auf den Gedanken, dass gerade ich hier etwas finden könnte?«, fragte er Alexandra, die bereits einige Bücher aus dem Regal genommen hatte.
    »Du hast mir doch erzählt, dass du schon ziemlich oft auf der Suche nach belastendem Material fremde Schränke durchstöbern musstest. Offenbar hast du einen Riecher für so was, denn sonst wärst du als Privatdetektiv doch längst verhungert«, entgegnete sie, legte die Agfagraphie des chiffrierten Schreibens auf den Schreibtisch, schlug den ersten Band eines Geschichtslexikons auf und begann, Zeilen und Buchstaben abzuzählen.
      
    Hinweise suchen! Das sagt sich so leicht , dachte Prieß.
    Welche Art von Hinweisen? Ein Buch, das irgendwo deplatziert herumlag? Ein auf den ersten Blick vielleicht bedeutungsloser Notizzettel, der dem pedantischen Ordnungsstreben des Obersts entgangen war? Bisher hatte Friedrich immer wenigstens annähernd gewusst, wonach er suchen musste, wenn er im Auftrag eines Klienten heimlich fremde Kommoden öffnete: verfängliche Briefe, kompromittierende Fotografien, Damenstrumpfbänder, die sicher nicht von der ehrbaren und zu Recht argwöhnischen Gemahlin stammten. Hier hingegen lagen die Dinge ganz anders. Prieß hatte keine Ahnung, worauf er besonders achten sollte. Er konnte nur hoffen, dass ihn Instinkt und Zufall kleine Misstöne, Unstimmigkeiten im Gesamtbild der Umgebung finden ließen, die ihm dann mit sehr viel Glück einen Fingerzeig offenbarten. Aber der Zufall ist halt ein unsicherer Verbündeter. Prieß kam sich vor, als würde er im vierbändigen Telefonbuch der Reichshauptstadt nach einem Menschen fahnden, von dem er nicht den Namen, sondern nur die Schuhgröße kannte. Er konnte nur versuchen, ein wenig System in seine wenig aussichtsreiche Suche zu bringen, indem er jedes einzelne Zimmer Zoll um Zoll mit Argusaugen auf die kleinsten Auffälligkeiten hin prüfte.
    Er fand wenig, und das Wenige führte ins Leere. Den Salon schien Diebnitz gemieden zu haben, und es überraschte Prieß nicht. Er vermutete, dass sich der Oberst durch die Bilder an den Wänden abgestoßen gefühlt hatte, denn es handelte sich um einige besonders grässliche Beispiele massenproduzierter Historienmalerei: seelenlose Szenen aus dem Leben Friedrichs des Großen, heroisch übersteigert und voll von falschem Pathos. Angesichts dieser üppig gerahmten Scheußlichkeiten wunderte der Detektiv sich nicht, dass Diebnitz seine Bibliothek im Arbeitszimmer untergebracht hatte.
    Prieß sah sich gründlich im Salon um, hob die schweren Teppiche an, zog sämtliche Schubladen auf und kletterte auf Stühle, um auf die mit geschnitzten Ornamenten überreich geschmückten Schränke zu blicken. Doch er entdeckte nichts.
    Auch im Badezimmer konnte Prieß nichts Ungewöhnliches aufspüren. Natürlich war es ohnehin schwer vorstellbar, dass der Oberst den Brief für Rabenacker ausgerechnet in der Badewanne geschrieben haben könnte; doch andererseits bewahrten viele Leute an den ausgefallensten Orten Dinge auf, die niemand sonst zu Gesicht bekommen sollte, wie Friedrich aus Erfahrung wusste. Gustav Diebnitz allerdings hatte wohl nicht zu dieser Sorte Menschen gehört, sein Badezimmerschrank jedenfalls enthielt weder ein Geheimfach in einer doppelten Rückwand noch ein Codebüchlein, sondern nur Rasierseife, Zahncreme und Ähnliches mehr. Selbst in den Spülkasten der Toilette schaute Prieß, für den Fall, dass der altgediente Geheimdienstmann dort etwas in einem wasserdichten Kunststoffbeutel versteckt hatte. Aber weder dort noch an einer anderen Stelle des Badezimmers wurde Friedrich fündig.
    Im Schlafzimmer erregte ein dickes Buch mit Lesezeichen auf dem Nachttisch seine Aufmerksamkeit. Sollte der Oberst

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