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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Papierfetzen und erklärte: »Ich denke, ich weiß jetzt, was sich abgespielt hat: Diebnitz verschlüsselt sein Schreiben mit Hilfe der Buddenbrooks. Als er fertig ist, passiert ihm ein Missgeschick. Er stößt das Tintenfass um, oder der Füllfederhalter läuft ihm aus. Jedenfalls ist sein Buch hinterher unbrauchbar. Darum besorgt er sich ein neues, als er in der Buchhandlung das Exemplar für Rabenacker bestellt. Bestellnummer, Preis und Umschlag haben sich nicht verändert, wie sollte er also auf die Idee kommen, dass die Seitenzahlen nicht mehr übereinstimmen? Er stellt das neu gekaufte Buch ins Regal, und aus dem verdorbenen alten reißt er sich noch ein Stück Papier als Lesezeichen heraus, bevor er es in den Mülleimer wirft. So oder ganz ähnlich muss es gewesen sein.«
    Derweil hatte Alexandra an den Anfang des Romans geblättert und nickte bestätigend. »Volltreffer, Fritz. Hier steht es: Geleitwort zur zwölften Auflage anlässlich des 65. Jahrestages der Nobelpreisverleihung an Dr. Thomas Mann. Durch das Vorwort sind die sechs Seiten hinzugekommen, um die sich alles Folgende nach hinten verschoben hat. Und falls es sonst keine Veränderungen gibt … warte mal eben.«
    Sie schlug ungeduldig eine andere Seite auf, legte das Buch auf den Tisch und beschwerte es mit einem Gipsfigürchen in Form einer mit Schild und Schwert gerüsteten Germania, sodass es nicht wieder zuklappen konnte. Dann wanderten ihre Augen immer wieder von der Fotokopie des chiffrierten Briefes zum Text des Romans und zurück, während sie zugleich mit dem Zeigefinger die Zeilen und Buchstaben entlangfuhr. Prieß stand daneben und wagte kaum zu atmen.
    Unvermittelt klatschte Alexandra in die Hände. »Es funktioniert! Mit Seite 567 ergeben die ersten Zahlenpaare des Codes D-E-U-T-S-C-H-L-A-N-D! Du hast es geschafft, Fritz!«
    Prieß glaubte, ein wenig Verwunderung aus ihrer Stimme herauszuhören, aber das Lob überwog bei Weitem. Erleichtert, weil er sich nicht durch voreiligen Enthusiasmus blamiert hatte, sagte er: »Besten Dank. Nachdem du durch deine Schlussfolgerungen so elegant Lämmles Versteck ausfindig gemacht hast, musste ich ja schließlich meinem angeknacksten männlichen Stolz wieder auf die Beine helfen.«
    »Vernehme ich da etwa Selbstironie?«, entgegnete Alexandra mit einem schiefen Grinsen. »Ich entdecke ja ganz neue Charakterzüge an dir, sehr erstaunlich. Auf jeden Fall hast du uns einen Riesenschritt vorangebracht. Zum Entschlüsseln ist jetzt lediglich noch ein bisschen Geduld notwendig.«
    Zufrieden verschränkte Prieß die Arme vor der Brust. Ganz gleich, was die Puppenspieler planten, es war nun zum Scheitern verurteilt. Ihm gefiel der Gedanke, dass sich die Schlinge um den Hals der Verschwörer zuzog und sie es nur noch nicht wussten. Die heimlichen nagenden Zweifel, ob das geheimnisvolle Schreiben auch wirklich halten würde, was sich alle von ihm versprachen, verdrängte der Detektiv lieber.
      
    Immer dunkler wurden die Blauschattierungen des Abendhimmels, die das unaufhaltsame Heranrücken der Nacht ankündigten. Alexandra saß auf der Terrasse ihres Hauses und blickte abwesend in den langsam im Dämmerlicht verschwindenden Garten. Sie fuhr gedankenverloren mit der Fingerspitze über den Rand des Weinglases in ihrer Hand und grübelte, denn mehr konnte sie im Augenblick nicht tun. Friedrich Prieß war in seinem Zimmer im oberen Stockwerk verschwunden, um ungestört Diebnitz’ Schreiben zu entschlüsseln. Alexandra hatte auch Senator Frahm bereits angerufen und ihm mitgeteilt, woran alle bisherigen Dechiffrierungsversuche gescheitert waren; zweifellos setzte Paul von Rabenacker gerade jetzt genau wie Prieß die Botschaft des toten Obersts Buchstabe für Buchstabe zusammen.
    So blieb der Polizeipräsidentin nichts weiter übrig, als zu warten und über die vergangenen Tage nachzudenken. Aber nach einer Weile wurde ihr dabei unwohl zumute. Ihr Weltbild war in so kurzer Zeit vollständig über den Haufen geworfen worden, dass es ihr Angst bereitete. Nichts war so, wie sie und mit ihr Millionen anderer ihr Leben lang geglaubt hatten. Gab es etwas Gespenstischeres als die Erkenntnis, dass das Schicksal der ganzen Menschheit von einer Handvoll Verschwörer gelenkt wurde, die glaubten, die Zeit anhalten zu können?
    Je länger Alexandra Dühring sich vor Augen hielt, was das bedeutete, desto bedrückender wurden die Fragen, die ihr durch den Kopf rasten. Wie viele Kriege hatten die Puppenspieler in über

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