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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Kirchenschiff trat. Fahles silbriges Mondlicht leuchtete durch die weit oben gelegenen Fenster und tauchte den hohen Raum in ein unwirkliches Halblicht, in dem sich alle Konturen auflösten und das die Illusion hervorrief, die mächtig aufragenden Pfeiler würden keine Deckengewölbe tragen, sondern sich in der Unendlichkeit eines sternenlosen Nachthimmels verlieren.
    Kaum hatte sie die Schwelle überschritten, als hinter ihrem Rücken die Tür von Zugluft erfasst wurde und mit einem dumpf hallenden Krachen zufiel. Alexandra zuckte zusammen und biss sich vor Ärger auf die Zunge. Selbst ein fast Tauber hätte nun gewusst, dass jemand in die Kirche gekommen war.
    Nachdem das letzte Echo verklungen war, lauschte sie. Nichts war zu hören. Eine unheilschwangere Stille füllte den riesigen Raum aus.
    Mit zögerlichen Schritten ging Alexandra in das nebelhafte Grauschwarz hinein, ertastete sich ihren Weg zwischen dem irrgartenartig verschachtelten Kirchengestühl. Die barocken Epitaphien vor Jahrhunderten verstorbener Ratsherren und Bürgermeister hingen als grotesk wuchernde, bedrohlich düstere Schatten über ihr an den Pfeilern.
    Sie hielt die Augen offen, wenn sie auch im trüben Zwielicht kaum etwas erkennen konnte. Ihre hohen Absätze klapperten stumpf über die steinernen Grabplatten, die den Boden bedeckten.
    Verdammte Schuhe , fluchte sie in Gedanken. Man kann mich meilenweit kommen hören. Geschieht mir ganz recht, wenn mich meine Eitelkeit jetzt in Teufels Küche bringt.
    Als sie das Labyrinth der Bänke passiert und das Kirchenschiff durchquert hatte, blieb sie stehen. War es nur Einbildung? Nein, da war tatsächlich ein Geräusch: Ein flaches Röcheln, das seinen Ursprung ganz in der Nähe haben musste.
    Die Laute kamen aus der Totentanzkapelle. Ein plötzliches Schaudern durchfuhr Alexandra, und sie spürte, wie das Blut in heftigen Stößen durch ihre Adern gepumpt wurde.
    Sie ging weiter, folgte dem unheimlichen Geräusch bis zur kleinen Seitenkapelle. Und dort erschrak sie so sehr, dass sie aufschrie und zurücktaumelte, wobei sie mit dem Arm gegen das uralte Beichtgestühl schlug. Den beißenden Schmerz, der bis zu ihrer Schulter hinaufschoss, nahm sie jedoch gar nicht wahr, dazu war der Schock viel zu groß.
    Durch die Fenster fiel dünnes weißes Licht auf Pastor Wilhelmi. Er lag mit dem Gesicht nach unten zusammengekrümmt auf dem Boden. Auf seinem Rücken breitete sich ein dunkelroter Fleck über den grauen Stoff des Anzugs aus.
    Alexandra hatte den ersten Schrecken noch nicht überwunden, als sie erneut zusammenfuhr, weil plötzlich gehetzte Schritte durch die Kirche hallten. Sie riss den Kopf herum, gerade noch rechtzeitig, um die verschwommene Silhouette eines Menschen zwischen den Bankreihen im Halbdunkel verschwinden zu sehen.
    »Stehen bleiben!«, schrie sie. Doch noch während ihre Stimme von allen Seiten zurückgeworfen wurde und sich die Echos zu einer höhnischen Parodie überlagerten, schlug die Tür des Ausgangs knallend zu.
    Die Polizeipräsidentin verbiss sich einen Kraftausdruck und kniete neben Wilhelmi nieder. Vorsichtig drehte sie seinen Kopf herum, damit er sie sehen konnte, falls er dazu noch in der Lage war.
    Er blickte sie aus fiebrig glänzenden Augen an. Als er den Mund öffnete, rann mit Blut vermischter Speichel zähflüssig heraus.
    »Der Tod …« stöhnte er gepresst.
    »Sprechen Sie nicht«, sagte Alexandra fast flüsternd.
    Wilhelmis Züge verkrampften sich, als er alle ihm noch verbleibende Kraft zusammennahm und ächzte: »Nein … der Tod … sie nennen sich Puppenspieler … sie bringen den Tod …«
    »Die Puppenspieler?« Eisig lief es Alexandra den Rücken hinab.
    Wilhelmi schluckte schwach, stemmte sich gegen sein unerbittlich herannahendes Ende. Die Worte, die über seine Lippen kamen, wurden immer leiser und undeutlicher. »Der Tod … der Mönch … der Mönch weiß alles … Maria steh …«
    Seine Stimme erstarb. Ein letztes heiseres Gurgeln, dann war alles vorbei. Wilhelmi starrte Alexandra aus reglosen Augen an. Blut floss aus seinem Mund und verteilte sich in den Fugen und Rissen des Bodens.
    Von den Wänden blickten die zum Todesreigen versammelten gemalten Figuren herab. Der Kaiser und der Tod. Der Kaufmann und der Tod. Der Priester. Und der Tod.
        
     

Sonnabend, 4. Juni
     
    »Unfassbar!«, murmelte Alexandra und führte die Kaffeetasse zum Mund, ohne den Blick von dem Blatt Papier in ihrer anderen Hand zu wenden. Prieß hatte fast die ganze

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