Kaisertag (German Edition)
Maria steh mir bei anhörte.«
»Der Mönch? Welcher Mönch?«
»Wenn ich das wüsste, Fritz. Es gibt hier überhaupt keine Mönche, die ganze Gegend ist doch evangelisch. Außerdem war Wilhelmi ein eiserner orthodoxer Lutheraner. Auf Katholiken war er gar nicht gut zu sprechen. Dass er sich mit seinem brisanten Wissen ausgerechnet einem Mönch anvertraut haben soll …«
»Hat er vielleicht gar nicht, Alexa«, entgegnete Prieß, wobei er einen Bissen Marmeladenbrot kaute. »Ich meine, er lag im Sterben. Möglicherweise hat er einfach nur wirr geredet, dann ist das mit dem Mönch ganz ohne Bedeutung. Er hat ja auch die heilige Maria angerufen, und so etwas tut ein Protestant normalerweise nicht. Du darfst seine letzten Worte nicht auf die Goldwaage legen. Überhaupt – lohnt es sich denn, dass wir uns den Kopf darüber zerbrechen? Den Mörder mit dem falschen Rauschebart bekommst du ohnehin nicht zu fassen, und was hätte der Pastor dir schon groß über die Puppenspieler erzählen können, was wir noch nicht wissen?«
Einen Augenblick lang dachte Alexandra nach, dann meinte sie: »Recht hast du. Er konnte nicht ahnen, dass ich über die Existenz der Puppenspieler schon im Bilde war. Wenn hinter seinen kryptischen letzten Worten doch irgendwas stecken sollte, dann bestimmt nur ein ziemlich allgemeiner Hinweis auf die Verschwörung. Wenn er nicht gerade zu den führenden Köpfen der Puppenspieler gehört hat, wusste er sowieso bestimmt nicht viel. Dafür lohnt es sich nicht, einem obskuren Mönch nachzujagen, der wahrscheinlich nicht einmal real ist. Wir haben wahrhaftig Besseres zu tun.« Sie stand auf und gähnte nochmals lang gezogen.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte Prieß.
»Zunächst mal Frahm anrufen und ihm mitteilen, dass der verstorbene Hauptpastor von St. Marien zu den Verschwörern gehörte. Dann werde ich versuchen, wenigstens zwei Stunden zu schlafen, bevor ich mich wieder an den Schreibtisch setze. Morgen ist schließlich Kaisertag, ich habe noch einiges zu erledigen. Ich muss auch noch telefonieren, um für heute Mittag ein Treffen zu verabreden. Das heißt natürlich, wenn ich Senator Frahms Zustimmung bekomme.«
Prieß kratzte sich grübelnd am noch unrasierten Kinn. »Ein Treffen, zu dem du Frahms Erlaubnis brauchst? Nach einem romantischen Rendezvous klingt das nicht unbedingt.«
»Ist es auch nicht. Wir sitzen in einem Zug, der mit rasender Geschwindigkeit auf einen Abgrund zufährt. Ich will versuchen, die Notbremse zu ziehen.«
Der Zucker rieselte vom Löffel auf Tischdecke und Untertasse. Für einen Augenblick konnte Yvonne Conway ihre Nervosität nicht verbergen; als sie den Löffel von der Zuckerdose zur Tasse führen wollte, begann ihre Hand zu zittern. Zwar dauerte es keine zwei Sekunden, bis sie sich wieder zur Ruhe gezwungen hatte, doch da war der Löffel schon leer. Sie verzichtete auf einen weiteren Versuch und trank den Kaffee bitterschwarz.
Während sie die Tasse an die Lippen führte und vorsichtig den ersten Schluck nahm, beobachtete sie durch die dunklen Gläser der Sonnenbrille ihre Umgebung. Noch hatte niemand sie erkannt, und darüber war sie ganz froh, denn momentan war von der traditionellen Englandfreundlichkeit der Hanseaten nicht mehr viel zu spüren.
Sie saß in einem Straßencafé auf dem Markt, im Schatten des türmchenreichen Rathauses. Die Gebäude rund um den großen Platz waren bereits mit Fahnen und Girlanden für den kommenden Tag geschmückt, doch die Diskrepanz zwischen der festlichen Dekoration und der Stimmung der Menschen war deutlich. Die Nachricht von dem Überfall auf den Atombombentransport hatte die Leute aufgewühlt, auch die Gäste an den übrigen Tischen sprachen über nichts anderes. Manche ereiferten sich in ihren Unterhaltungen mehr oder weniger lautstark über Dänen und Briten, andere hingegen redeten mit gesenkter Stimme und sorgenvoller Miene. In dieser Situation war es Yvonne Conway gar nicht recht, in Lübeck bekannt zu sein wie ein bunter Hund. Natürlich war es Teil ihrer Tarnung gewesen, sich so extrovertiert wie nur möglich zu geben, denn wer würde in einer Frau, die sich so auffällig verhielt, schon eine Geheimagentin vermuten? Doch nun wäre ihr schützende Anonymität viel lieber gewesen. Sie hoffte, dass die Sonnenbrille und der große geschwungene Hut ausreichten, damit niemand sie erkannte.
An einem der Nachbartische saßen zwei Männer mittleren Alters, der Kleidung nach vielleicht Kontorvorsteher eines der in
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