Kaisertag (German Edition)
sich nur ruhig über mich lustig«, entgegnete Prieß beleidigt, »aber ich halte diese Kostümierung für sinnvoll. Es könnten ja immerhin einige der Männer hier sein, die mich in Kronsforde töten sollten. Und wenn die mich hier erkennen, wäre das nicht nur für mich fatal, oder?«
Sie standen etwas abseits unterhalb des überlebensgroßen Standbilds eines kriegerisch dreinblickenden Heinrichs des Löwen in voller Rüstung und warteten auf Alexandra Dühring und Paul von Rabenacker. Es war ein idealer Treffpunkt, denn hier drängten sich keine Schaulustigen: Drei Lastwagen mit hohen Kastenaufbauten, von denen aus die Aufnahmen für die Kinowochenschauen gemacht werden sollten, versperrten den Blick auf die Mitte des Platzes und die gegenüberliegende Ehrentribüne, sodass sich mit Sicherheit niemand hierher verirren würde.
Die Engländerin hatte das amüsierte Grinsen über Prieß’ Verkleidung noch nicht ganz abgelegt, als Paul von Rabenacker und die Polizeipräsidentin hinzukamen. Der Oberst trug wieder die Offiziersuniform, die ihm nahezu überall anstandslos Zutritt verschaffte, und Alexandra hatte für den Kaiserbesuch den sperrigen Zierdegen angelegt, den sie ständig mit einer Hand festhalten musste, damit er ihr nicht gegen die Wade schlug, und den sie bei jedem Schritt sichtlich verfluchte. Der Oberst, der Yvonne Conway zum ersten Mal begegnete, begrüßte sie zwar mit vollendeter Höflichkeit, machte aber auch keinen Versuch, das Misstrauen zu verbergen, das deutlich aus seiner Miene sprach.
»Konnten Sie etwas erreichen, Miss Conway? Irgendwas?«, wollte Alexandra wissen.
Die Britin schüttelte den Kopf. »Leider nicht, Frau Dühring. Doch das hatte ich nicht anders erwartet. Keine der Personen, mit denen ich Kontakt aufnehmen darf, ist heute in London. Sie scheinen tatsächlich alle ins weekend gefahren zu sein.«
»Engländer!«, stöhnte Oberst Paul von Rabenacker. »Europa steht am Rande eines Krieges, und die Mitarbeiter des Secret Service haben nichts Besseres im Sinn, als zum Angeln zu fahren? Himmel, wie hat Ihr Land mit dieser Einstellung bloß sein Empire errichten können?«
»Unter Umständen, Herr von Rabenacker, könnte das, was oberflächlich betrachtet wie eine Schwäche wirkt, durchaus eine Stärke sein. In diesem Fall allerdings möchte ich die Mentalität meiner Landsleute am liebsten verwünschen«, gestand Miss Conway und lächelte entnervt.
Die Möglichkeit, Großbritannien zu warnen und dadurch die drohende Kettenreaktion zu verhindern, war somit ausgeschieden. Alles hing nun davon ab, ob das Attentat verhindert werden konnte. Doch Rabenackers ernstes Gesicht verriet, noch ehe er ein Wort sagte, dass er nichts Gutes zu berichten hatte.
»Unsere Leute durchkämmen die ganze Umgebung. Das heißt natürlich, soweit ihnen das möglich ist, ohne Aufsehen zu erregen. Aber sie sind einfach zu wenige, um alle infrage kommenden Orte, an denen sich ein Scharfschütze versteckt halten könnte, zu finden und zu prüfen. Es geht langsam voran, viel zu langsam«, sagte er unzufrieden, und obgleich er sich große Mühe gab, gelang es ihm nicht, seine zunehmende Unruhe völlig zu verbergen.
»Was ist mit den Gebäuden rund um den Bahnhofsvorplatz?«, warf Prieß ein. »Wenn der Kaiser die Ehrenkompanie abschreitet, wäre das doch ein idealer Moment, ihn zu erschießen.«
Rabenacker winkte ab. »Daran haben wir schon gedacht. Das Verwaltungsgebäude der Lübeck-Büchener Eisenbahn ist heute geschlossen. Der Pförtner am Haupteingang hat niemanden hereingelassen, und einer meiner Leute behält den Hintereingang im Auge. An den beiden Hotels arbeiten gerade zwei Gruppen, aber gefunden haben sie bislang noch nichts.«
Ärgerlich scharrte Alexandra mit der Schuhspitze im Kies zu ihren Füßen und trommelte mit den Fingern auf der metallenen Degenscheide. »Das darf doch alles nicht wahr sein! Wo steckt der Schütze nur? So viele Plätze, an denen er sich verborgen halten kann, gibt’s doch überhaupt nicht. Am Hanseplatz selber stehen ja außer dem Holstentor und den Salzspeichern keine Gebäude …«
»… und die haben wir bereits untersucht«, bemerkte Rabenacker.
»Was ist mit den alten Festungswällen? Zwischen den Büschen und Bäumen dort könnte sich eine einzelne Person leicht verstecken. Zudem würde es die erhöhte Position ermöglichen, auf den Kaiser zu zielen, während er auf der Tribüne sitzt«, meinte Yvonne Conway und deutete auf die dicht bewachsenen, wie ein lang
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