Kaisertag (German Edition)
entschuldigt und stattdessen ihre Stellvertreter auf die Reise mitgeschickt.
Ein reichlich überraschend grassierender Virus, meine Herren. Sie halsen mir gerne eine langweilige Verpflichtung auf, aber selber drücken Sie sich , dachte der Kaiser mit einem dünnen, grimmigen Lächeln.
Mit gedrosseltem Tempo ratterte der Hofzug auf dem Durchfahrtgleis durch einen kleinen Bahnhof. Auf dem parallel verlaufenden Ausweichgleis stand ein langer Militärtransport, der hier warten musste. Als die Soldaten an den offenen Schiebetüren der Güterwagen die in glänzendem Crème und Tiefblau lackierten Waggons des kaiserlichen Zuges sahen, brachen sie in Hurrarufe aus, die geisterhaft lang gezogen und verwischt durch das Fenster drangen. Dann ließ der Hofzug den Bahnhof hinter sich und beschleunigte erneut, nachdem er die letzte Weiche passiert hatte. Mit einem scharfen Pfiff der Lokomotive brauste er wieder dem Horizont des flachen Landes entgegen.
* * *
An diesem Sonntag waren die Krisenmeldungen über Kriegsdrohungen und Truppenaufmärsche auf Seite zwei des Lübecker General-Anzeigers gerückt. An ihrer Stelle beherrschten der Kaisertag und der ungeduldig erwartete Besuch Kaiser Wilhelms V. die Schlagzeilen und den Lokalteil. Der vorgesehene Ablauf der Feierlichkeiten wurde noch einmal in aller Ausführlichkeit dargestellt, wobei man die Punkte des Programms, denen der junge Monarch beiwohnen würde, besonders hervorgehoben hatte.
Die ehrwürdige Hansestadt war in Festlaune. Zum ersten Mal seit dem Anschlag von Kronsforde wehten die Flaggen nicht mehr auf Halbmast, alle Gebäude, Laternenmasten, Straßenbahnen und Autobusse waren mit dem Lübecker Weiß-Rot und dem Schwarz-Weiß-Rot des Deutschen Reiches geschmückt. Die Fassaden vieler Häuser verschwanden beinahe hinter Fahnen und Girlanden, und selbst das Wetter schien sich an diesem Tag ganz besonders anzustrengen. Während die ersten Besucher auf dem Hanseplatz und entlang der Route des Festzuges eintrafen, um sich die besten Plätze zu sichern, war bereits abzusehen, dass heute kein einziges Wölkchen den strahlend blauen Himmel trüben würde; das Wort vom Kaiserwetter am Kaisertag machte die Runde.
Besonders zum weiten Platz vor dem Holstentor strömten schon jetzt immer mehr Menschen, obwohl die Feierlichkeiten erst mit dem Eintreffen des Kaisers in über anderthalb Stunden beginnen sollten. Die Polizisten gaben ihr Bestes, um die rasch wachsende Menge von einer großzügig abgesteckten Fläche in der Mitte des Hanseplatzes fernzuhalten, denn dort würden später erst die eintreffenden Wagen des Umzugs die Tribüne passieren und danach das eigens für diesen Anlass verfasste Festspiel aufgeführt werden, das über achthundert Jahre Stadtgeschichte in einer knappen Stunde zusammenfasste.
Feldgendarmen des Lübecker Infanterie-Regiments mit den charakteristischen blank silbernen Ringkragen vor der Brust unterstützten die Schutzmänner, so gut sie konnten, bei der Sisyphusaufgabe, für Ordnung zu sorgen und dabei auch noch nach Personen Ausschau zu halten, die nach Aussehen oder Verhalten dänische Terroristen oder sonstige Unruhestifter hätten sein können. Und wer aufmerksam war, dem entgingen auch die zahlreichen Männer nicht, die sich betont unauffällig gaben und trotz der sich schon bemerkbar machenden sommerlichen Hitze ohne Ausnahme erstaunlich einheitliche dunkle oder graue Anzüge trugen. Sie waren Beamte des Reichsamts für Militärische Aufklärung und der Geheimen Reichssicherheitspolizei, die alles und jeden um sich herum mit durchdringenden, misstrauischen Blicken musterten.
Als sie Friedrich Prieß sah, konnte Yvonne Conway ein überraschtes Lachen nicht unterdrücken.
»Bitte verzeihen Sie mir«, sagte sie immer noch grinsend, »aber Ihr Anblick ist auch zu originell. Ich habe vor einiger Zeit bei einem Kinderfest etwas gesehen … mir fällt das Wort gerade nicht ein. Wie sagen Sie auf Deutsch für Punch-and-Judy show?«
»Kasperletheater«, antwortete Prieß hörbar verstimmt, wobei das üppige Büschel der falschen Barthaare über seinem Mund heftig wogte.
»Ja, genau das meinte ich, ein Kasperletheater. Und die Puppe des Gendarmen, der den bösen Räuber festnahm, sah genauso aus wie Sie jetzt – er trug auch eine Pickelhaube und hatte solch einen unglaublichen Schnurrbart …«
Sie war kurz davor, abermals zu lachen, doch sie konnte es so weit abfangen, dass ihr nur ein amüsiertes Kichern entschlüpfte.
»Machen Sie
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