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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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bemalte und reichlich vergoldete Dekoration deutete und dabei erklärte:
    »Die Figuren des Lettners zählen zu den herausragenden Kunstwerken der Spätgotik. Besondere Freude fand der Holzschnitzer Benedikt Dreyer an ausdrucksstarken, charaktervollen Antlitzen und Gesten. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Kleine Mönch …«
    Der Mönch!
    Sofort kamen Alexandra Pastor Wilhelmis letzte Worte wieder in den Sinn.
    Ohne zu zögern, ging sie auf den Reiseleiter zu und forderte ihn auf, ihr den Mönch zu zeigen.
    Für einen Augenblick sah er sie unschlüssig an und wusste zunächst nicht, wie er reagieren sollte. Dann wies er verwirrt auf eine geschnitzte Statue, die am Eckpfeiler des Lettners stand: ein pausbäckiger Mann in einem schlichten graugrünen Gewand und mit einer schmucklosen Kappe auf dem Kopf. In den Händen hielt er einen flachen Kasten voller Goldmünzen, die er in den Schlitz eines Opferstocks zu seinen Füßen zu schütten schien.
    »Das ist er«, entgegnete der Führer verunsichert, »der Kleine Mönch. Er sollte die Gläubigen dazu anhalten, für die Erhaltung der Kapelle Maria am Stegel zu spenden.«
    »Maria am Stegel! Natürlich!«, entfuhr es Alexandra. Sie kannte die kleine Tochterkirche von St. Marien, einen unscheinbaren Bau im Schatten der massig aufragenden Doppeltürme, der schon lange nur noch als Lager des Städtischen Bauamtes diente. Nun erst begriff sie. Der sterbende Wilhelmi hatte nie die heilige Maria um Beistand angerufen. Er hatte versucht, auf die hölzerne Mönchsfigur hinzuweisen.
    »Was hatte ich da für ein Brett vor dem Kopf!«, murmelte Alexandra unhörbar. Sie wies den Reiseleiter an, mit seiner Reisegruppe die Kirche zu verlassen, und rief einem ihrer Polizisten, der einige Meter entfernt gerade versuchte, sich einer Handvoll unerschütterlich lächelnder Japaner mit umgehängten Zeiss-Fuji-Kameras verständlich zu machen, ungeduldig zu: »Wachtmeister, suchen Sie den Küster und schicken Sie ihn her! Er soll den Schlüssel zu diesem Opferstock mitbringen. Es eilt!«
      
    Küster Fredersen steckte den klobigen Eisenschlüssel in das Schloss.
    »Verzeihen Sie bitte, dass es so lange gedauert hat, Frau Polizeipräsidentin«, bat er um Entschuldigung, »doch ich musste den Schlüssel erst suchen. Der Kasten wird so gut wie nie geöffnet, er ist nicht mehr in Benutzung.«
    »Ich verstehe. Wie viele Schlüssel gibt es?«, wollte Alexandra wissen.
    »Nur zwei, Frau Polizeipräsidentin. Einen habe ich, den anderen verwahrte immer der Herr Pastor Wilhelmi. Er müsste noch in seinem Büro liegen.«
    Alexandra wusste es besser. Unter den Dingen, die man in den Taschen des ermordeten Pastors gefunden hatte, war auch ein ungeschlachter alter Schlüssel gewesen, dem sie aber keine Beachtung geschenkt hatte.
    Das Schloss gab ein lautes metallisches Knacken von sich. Sogleich hielt Alexandra den Küster davon ab, den knarrenden Deckel weiter als einige Zentimeter zu öffnen, indem sie die Hand auf die hölzerne Klappe legte und sagte: »Vielen Dank, Herr Fredersen. Wenn ich Ihre Hilfe benötige, werde ich mich wieder an Sie wenden.«
    Der Küster versicherte der Polizeichefin, jederzeit zu Diensten zu sein, und entfernte sich. Jetzt erst, da sie sich unbeobachtet wusste, sah Alexandra in den Opferstock hinein und fand neben einigen kleineren Münzen und einem Bonbonpapier einen länglichen weißen Briefumschlag, der am oberen Rand sauber aufgetrennt war.
    Der Empfänger war nur durch ein Wort auf der Vorderseite des Kuverts ausgewiesen: Wilhelmi.
    Angespannt nahm sie den Umschlag aus dem Kasten, zog den Brief heraus, entfaltete ihn und begann, die maschinengeschriebenen Zeilen zu überfliegen.
    Und sie erschrak.
      
    Der Scharfschütze sah auf die Armbanduhr. Es war nun kurz nach halb zehn. Er wusste, dass alles genauestens vorbereitet war und auf die Minute genau ablaufen würde. Sämtliche Planungen waren präzise bis ins letzte Detail, nichts hatte man dem Zufall überlassen. Ihm blieb also noch viel Zeit.
    Ohne Eile nahm er respektvoll erst die Lee-Enfield aus dem Koffer, dann das kleine Edelholzkästchen mit den Patronen. Eine einzige Bewegung des Daumens ließ den Deckel aufklappen und gab den Blick frei auf zwölf lange, ordentlich nebeneinander aufgereihte Geschosse mit matt glänzenden stählernen Hülsen. Jede dieser speziell für die Empress gefertigten Patronen kostete über zwei Goldmark. Wer von ihnen getroffen wurde, starb keinen billigen Tod.
    Der Mann erhob sich vom

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