Kaisertag (German Edition)
bereit, um das Forschungsprogramm ohne die kleinste Unterbrechung fortzuführen.
Am Ende hatte Sonnenbühl sich entschlossen, den Professor mit einer Kugel zu töten. Später würde man seinen Tod ohne Weiteres den Dänen anlasten können, falls sich dann überhaupt jemand dafür interessierte. Große Ereignisse standen bevor, wer würde sich da groß um eine einzelne Leiche kümmern?
»Hast dir mit deinen krausen Ideen selber das Grab geschaufelt, Dummkopf«, sagte Sonnenbühl halblaut und ging dann durch die Tür hinüber in die Scheune.
Der Lastwagen in der dämmrigen Halle trug jetzt Nummernschilder der Luftflotte, und sowohl am Fahrerhaus als auch auf der Plane, die über den Großen Kurfürsten gespannt war, befand sich das geflügelte Wappenschild in den Reichsfarben. Vor dem Wagen waren sieben Soldaten der Sonderbrigade angetreten. Sie hatten das vertraute Feldgrau gegen die blauen Monturen und länglichen Käppis der Fliegertruppe eingetauscht; nur die umgehängten kurzen britischen Maschinenpistolen wollten nicht ins Bild passen, und das sollten sie auch gar nicht. General Deuxmoulins hatte jeden einzelnen der Männer selber ausgewählt.
Sie alle waren ausgebildete Luftschiffführer und hatten ohne Ausnahme an der spektakulären Eliminierung der Aufständischen in der deutschen Botschaft in Montevideo drei Jahre zuvor mitgewirkt. Für den bevorstehenden Einsatz konnte man auf der ganzen Welt keine besseren Leute finden.
»Kommando bereit, Herr Major!«, meldete der Oberleutnant, der den kleinen Trupp führte.
Sonnenbühl nickte. »Sehr gut. Wir fahren ab!«
Jeder wusste genau, was er zu tun hatte. Zwei Soldaten öffneten das große Scheunentor; grelles Sonnenlicht flutete herein und drängte das Halbdunkel beiseite. Der Oberleutnant kletterte in das Fahrerhaus und startete den Motor, Maximilian Sonnenbühl stieg auf der Beifahrerseite ein, und vier Soldaten nahmen ihre Plätze auf der hinteren Sitzbank in der Kabine ein. Der schwer beladene Lastwagen setzte sich in Bewegung, und als er langsam aus der Scheune hinausrollte, sprangen die beiden Soldaten am Tor auf die tief liegende Ladefläche auf.
Behutsam lenkte der Oberleutnant das sperrige Fahrzeug über den unkrautüberwucherten Hof und durch die zerfallenden gemauerten Torpfeiler hindurch auf die Straße. Nun erst konnte er beschleunigen. Der Motor dröhnte tief auf, das Auspuffrohr stieß ölig schwarzen Ruß aus. Der Laster rumpelte über das grobe Straßenpflaster davon, und zurück blieb nichts als eine Wolke aus Staub und Dieselabgasen, die sich rasch verflüchtigte.
Die Zeiger der sanft summenden elektrischen Uhr an der Wand rückten ein Stückchen vor; es war nun halb elf. Otto von Deuxmoulins, der gerade von seinem Schreibtisch aufgestanden war, nahm die graue Offiziersmütze vom Kleiderständer. Genau in diesem Augenblick fuhr der kaiserliche Hofzug auf dem Lübecker Bahnhof ein. Wenn alles genau wie vorgesehen ablief – und es gab in Deutschland nichts, was nicht auf die Minute pünktlich geschah –, dann würde in einer halben Stunde der Schuss fallen, der den Beginn der ewigen Herrschaft der Puppenspieler einläutete. Und noch ein wenig später würde er Feldmarschall und Chef des Großen Generalstabs sein. Doch nun war es zunächst einmal an der Zeit, angemessenen Abstand zu dieser Stadt zu gewinnen. Zwar würde das Forschungsinstitut weit genug vom Zentrum der Explosion entfernt sein, sodass schlimmstenfalls mit kaputten Fensterscheiben zu rechnen war; aber es erschien Deuxmoulins dennoch ratsam, vorsichtig zu sein. Er hatte nicht vor, ein unnötiges Risiko einzugehen.
Er ging hinüber zum Schreibtisch, drückte einen der Knöpfe der kastenförmigen Gegensprechanlage aus dunklem, fast schwarzem Tropenholz und sagte: »Fräulein Burmester, mein Wagen soll vorfahren.«
Der Lautsprecher knackte, und die Sekretärin im Vorzimmer bestätigte die Anweisung. »Soll ich während Ihrer Abwesenheit eintreffende Telefonanrufe wie üblich zu Herrn Major Sonnenbühl durchstellen?«, erkundigte sie sich.
Der General wollte schon zustimmen, als ihm einfiel, dass Maximilian Sonnenbühl ja überhaupt nicht im Forschungsinstitut war. Unser nützlicher Idiot müsste jetzt schon auf dem Weg zur Fliegerschule sein … guten Flug, mein Bester. Ich werde Ihr wichtigtuerisches, stilloses Auftreten sicher vermissen.
»Nein, Fräulein Burmester, diesmal nicht. Lassen Sie den Offizier vom Dienst die Gespräche entgegennehmen«, antwortete
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