Kaisertag (German Edition)
der Soldat. »Herr Leutnant sollten sich jedoch beeilen, das Luftschiff wird in Kürze zu einem Schulungsflug ablegen.«
»Schließen Sie hinter mir das Tor, lassen Sie niemanden auf das Gelände!«, befahl Friedrich, gab Gas und fuhr los.
»Ich bedaure, Herr Leutnant, aber das darf ich nicht …«, rief der Soldat ihm noch nach.
Doch Prieß hörte es schon nicht mehr.
Der Flugplatz wirkte wie ausgestorben. Über dem kurz geschorenen, gelblich vertrockneten Rasen flimmerte die aufgeheizte Luft und ließ die über einen Kilometer entfernten Kontrollgebäude am anderen Ende des Flugfelds zu einer unwirklichen Fata Morgana verschwimmen. Die Tore der Flugzeughangars waren verschlossen, keine einzige Maschine stand im Freien, weder Mechaniker noch Piloten waren zu sehen. Wegen der angekündigten Teilmobilmachung war zwar der Wochenendurlaub gestrichen worden, aber Oberstleutnant Ströter, der die Fliegerschule leitete, hatte seinen Untergebenen gestattet, die Kaisertagsfeier zu besuchen. Die meisten hatten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht; in Blankensee zurückgeblieben waren lediglich die Wachen an den Toren und die Diensthabenden der Flugaufsicht. Außerdem mussten auch drei Offiziersanwärter dort ausharren, mit ihnen eine kleine Luftschiffmannschaft und Hauptmann Francke, der Kapitän der Kronprinzessin Sophie Viktoria . Vom Luftflottenkommando Nord war die Weisung gekommen, die Navigationsprüfung der angehenden Luftschiffer ausgerechnet an diesem Tag zu absolvieren. Selbst wann der Zeppelin aufzusteigen hatte, war auf die Minute genau festgelegt worden.
Für besondere Freude hatte dieser Befehl bei niemandem gesorgt. Die Navigationsprüfung sollte ursprünglich erst anderthalb Wochen später stattfinden, die Vorverlegung wurde von allen als willkürlich und unsinnig empfunden. Doch was vom Luftflottenstab in der Hamburger Rothenbaumchaussee kam, war so unverrückbar und endgültig wie die Zehn Gebote, ob es einem nun gefiel oder nicht.
Die Kronprinzessin Sophie Viktoria war an ihrem niedrigen, auf Schienen laufenden Ankermast aus der riesenhaften Halle am nördlichen Rand des Flugfelds ausgebracht worden und lag nun startbereit in der Sonne. Untätig stand die gerade einmal drei Mann starke Bodenmannschaft im Schatten eines Treibstofflasters; sie hatte keine wirkliche Aufgabe und war nur für den Notfall anwesend, denn die Kronprinzessin konnte ohne ihre Hilfe aufsteigen. Als sie vor zweiunddreißig Jahren in Dienst gestellt worden war, hatte es noch als aufsehenerregende Neuerung gegolten, dass sie fast kein Bodenpersonal benötigte und dank modernster Technik mit einer Mindestbesatzung von nur fünf Mann auskam, wenigstens auf Kurzstreckenflügen. Inzwischen war jedes Luftschiff entsprechend ausgerüstet.
Die Kadetten waren um einen Klapptisch versammelt, auf dem ein bemaltes Pappmachémodell der Umgebung Lübecks stand. Ein Korporal erklärte ihnen gerade die vorgesehene Flugstrecke, als vom Tor her ein Auto heranraste und nur wenige Meter neben ihm so hart bremste, dass die Reifen lange Furchen in den trockenen Rasen rissen. Ein ungewöhnlich alter Leutnant im dunklen Waffenrock der Infanterie sprang aus dem Wagen und fragte aufgeregt: »Wo ist der Kommandant des Schiffs?«
»Darf ich Herrn Leutnant fragen …«, begann der Korporal verwundert, doch der Offizier fuhr ihm sofort dazwischen:
»Beantworten Sie meine Frage, schnell! Wo ist der Kommandant?«
»Er müsste im Frachtraum achtern sein, Herr Leutnant. Er wollte vor dem Ablegen noch einen kleineren Schaden an einer Gaszelle dort in Augenschein nehmen. Soll ich …«
Ohne ein weiteres Wort rannte der Offizier zum hinteren Fallreep, das ins Heck des mächtigen Schiffskörpers führte, und kletterte über die ausgefahrene Duraluminiumtreppe in den Rumpf.
Der Korporal schüttelte den Kopf über den seltsamen Leutnant und machte sich wieder daran, seinen Offizierskadetten die Positionen der Seezeichen vor Travemünde einzuprägen.
Ein schwer beladener Lastwagen der Luftflotte hielt am Nordtor des Flugplatzes.
Das geht hier ja heute zu wie im Taubenschlag , dachte der Wachsoldat, als er an das Fahrerhaus herantrat.
Es war zugleich das Letzte, was er dachte. Aus dem Wagenfenster starrte ihm die Mündung einer Pistole entgegen. Er hörte noch ein flaches Plopp! , bevor in einem Schwall aus Blut, Gehirn und Knochenfragmenten sein Schädel zerplatzte. Für den Bruchteil eines Augenblicks blieb der Körper des Soldaten mit halb
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