Kaisertag (German Edition)
Kaiser auf völlige Zustimmung treffen würden, gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Geschehnisse. Schließlich entstammte Wilhelm V. nicht umsonst einem Geschlecht, das sich Unbeugsamkeit und kompromisslose Standhaftigkeit geradezu auf die Fahnen geschrieben hatte. Nur mit dem Begriff Knechtsdasein war der Senator noch nicht ganz zufrieden; traf Knechtschaft den Kern der Sache vielleicht besser?
»Werter Herr Kollege«, sagte er und wandte sich Senator Herbert Frahm zu, der gleich neben ihm stand, »was ist Ihre Meinung? Klingt Knechtsdasein … oh!«
Er brach mitten im Satz ab, als er Frahm anblickte. Sein Amtskollege war fast totenbleich und verknotete nervös die Finger. Kaacksteen setzte ein schiefes Lächeln auf. »So aufgeregt? Dazu hätten Sie doch am allerwenigsten Grund. Sie wurden doch schon zwei Kaisern vorgestellt und sind mit einer ganzen Reihe hoher und höchster Herrschaften zusammengetroffen.«
»Das mag schon sein«, entgegnete Frahm mit einem Zittern in der Stimme, »aber der heutige Tag lässt sich mit keinem dieser Anlässe vergleichen.«
»Sie sind also Yvonne Adelaide Conway, britische Staatsbürgerin, geboren am 18. Mai 1953«, sagte der Mann im grauen Anzug. Ein breitkrempiger Filzhut beschattete seine Augen, als er den in rotbraunes Leder gebundenen Ausweis durchblätterte.
»Ganz recht, mein Herr«, gab die Engländerin gereizt zurück. »Genau wie die letzten zehn Mal, die Sie mir diese Frage gestellt haben.«
Der Mann nahm die Bemerkung nicht zur Kenntnis und studierte nochmals die Eintragungen im Ausweis, als glaubte er, doch noch auf überraschende neue Erkenntnisse stoßen zu können.
Yvonne Conway wurde mit jeder verstreichenden Sekunde unruhiger. Auf dem Weg zum Hanseplatz war sie von einem Posten der Reichssicherheitspolizei angehalten worden; vermutlich stellte das englische Nummernschild ihres Bentley dafür im Moment schon einen ausreichenden Grund dar. Nun dauerte die Kontrolle schon an die zehn Minuten. Zwei der Sicherheitspolizisten nahmen argwöhnisch das Automobil in Augenschein, ein dritter hatte sich in einen schon übertrieben unauffälligen mattblauen Borgward zurückgezogen und hielt über Funk offenbar Rücksprache mit der Leitstelle, während der vierte immer wieder Yvonne Conways Papiere durchging. Zwischendurch hatte er sich nicht davon abbringen lassen, auch einen Blick in ihre Handtasche werfen zu wollen, und die britische Agentin war heilfroh, ihre Pistole Friedrich Prieß überlassen zu haben. Als Engländerin bewaffnet bei einem Kaiserbesuch aufgegriffen zu werden, war in der gegenwärtigen Situation nicht ratsam.
Abermals begann der Beamte, im Ausweis zu blättern. »Fräulein Conway, Sie sind also …«
Wenn er jetzt noch einmal mein Geburtsdatum wiederkäut, kratze ich ihm die Augen aus! , raste es der Agentin durch den Kopf.
Aber so weit kam es nicht, denn im gleichen Moment trat der Polizist hinzu, der am Funkgerät gesessen hatte, und meldete: »Herr Hauptmann, die Angaben wurden bestätigt. Die Identität dieser Person ist korrekt: Yvonne Conway, Künstlerin, gemeldet in Lübeck seit dem 27. April letzten Jahres. Keinerlei Hinweise auf verdachtserregende Tätigkeit.«
Erstaunlich, wie gut die Hollerith-Archive der Geheimen Reichssicherheitspolizei doch arbeiten , dachte die Engländerin, als der Hauptmann ihr den Ausweis überreichte, den Hut lüftete und ihr mitteilte: »Sie dürfen weiterfahren, Fräulein Conway. Bitte verzeihen Sie die Ungelegenheiten.«
Sie rang sich ein verspanntes Lächeln ab, stieg dann schnell in den Bentley und trat so heftig auf das Gaspedal, dass die Reifen quietschten und tiefschwarze Gummispuren auf dem Pflaster hinterließen, als der Wagen davonschoss.
Prieß brachte den Mercedes am Nordtor des Flugplatzes, unweit der Luftschiffhalle, zum Stehen. Das Gittertor war weit geöffnet; ein einzelner Soldat bewachte die abgelegene Nebenzufahrt zum Flugfeld und nahm ohne Eile Haltung an, als er den Offizier im Auto sah.
»Gab es hier irgendwelche Zwischenfälle?«, rief Prieß ihm zu.
Der Soldat überlegte einen Moment, was damit gemeint sein könnte, und antwortete dann: »Melde gehorsamst, nein, Herr Leutnant.«
Der Detektiv stutzte. Bedeutete das nun, dass er und Yvonne Conway sich geirrt hatten? Oder stand die Kaperung des Zeppelins erst noch bevor?
»Ich muss unverzüglich zum Kommandanten der Sophie Viktoria!« , verlangte er.
»Selbstverständlich können Herr Leutnant passieren«, sagte
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