Kaisertag (German Edition)
Polizeichefin nahm. Glücklicherweise hat sich das geändert. Aber einfach war es nicht.«
Während sie sprach, konnte Prieß die Augen nicht von ihr lassen. Dass zwei Jahrzehnte fast spurlos an Alexandra vorübergegangen waren, fesselte ihn. Und es beunruhigte ihn, denn als er nach ihrem ersten Wiedersehen ins Hotel zurückgekehrt war, hatte er sich im Spiegel betrachtet. Und da erst war ihm aufgefallen, dass sich Ärger, Sorgen und Zeit mit tiefen Falten in sein Gesicht eingegraben hatten. Er kam sich sehr alt vor, obwohl Alexandra Dühring nur ein Jahr jünger war als er.
Prieß zwang sich, diese deprimierende Vorstellung zu verdrängen, und fragte: »Aber hast du denn keine Angst, dass dein Ruf leiden könnte, wenn man dich mit einem fremden Mann sieht?«
Sie grinste. »Ich will es mal so ausdrücken … es gibt ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen den braven Bürgern Lübecks und mir. Ich erfülle die Pflichten meines Amtes hundertfünfzigprozentig, und im Gegenzug bleibt mein Privatleben ausschließlich meine Angelegenheit. Das funktioniert besser, als du vielleicht glaubst.«
Der Weinkellner trat an den Tisch. Friedrich Prieß bereitete sich darauf vor, den Weißwein zu begutachten, aber es versetzte ihm einen Stich, dass stattdessen mit aller Selbstverständlichkeit Alexandra die Flasche gezeigt bekam. Sie war mit der Auswahl des Geschäftsführers zufrieden, der Weinkellner füllte mit vornehmer Eleganz zwei Gläser und zog sich dann wieder zurück.
Sie probierten den Wein. Friedrich stellte fest, dass er wirklich ausgezeichnet war, kein Vergleich zu dem, was er sich leisten konnte.
»Du hast es weit gebracht«, sagte er, »es ist bewundernswert. Kein Zweifel, das alles hättest du an meiner Seite nie erreichen können – ganz gleich, wie ich mich damals entschieden hätte.«
»Wer weiß?«, meinte Alexandra. Dann erzählte sie, wie ihr Leben verlaufen war seit dem Tag, an dem sie das Jurastudium mit einem herausragenden Abschluss beendet hatte. Sie schilderte ihren mühevollen Weg als einer der wenigen weiblichen Anwälte Deutschlands; ihre bitteren Erfahrungen, als sie bei der Bewerbung um die Übernahme in den Staatsdienst fünfmal zugunsten weniger qualifizierter männlicher Juristen übergangen wurde; wie sie sich durch Hartnäckigkeit langsam eine Reputation als Expertin für Polizeirecht aufbauen konnte und so schließlich die Aufmerksamkeit eines Lübecker Senators erweckt hatte.
»Senator Frahm verdanke ich alles«, sagte sie und drehte das Weinglas zwischen den Fingerspitzen. »Er hat an mich geglaubt und mich gegen alle Widerstände vonseiten seiner Amtskollegen und der Bürgerschaftsabgeordneten als einzige Anwärterin für den Posten des Polizeipräsidenten durchgesetzt. Ich stehe tief in der Schuld des alten Herrn, und mir liegt viel daran, mich seines Vertrauens würdig zu erweisen. Ich möchte ihn nie enttäuschen. Wer weiß, wo ich jetzt ohne ihn wäre?«
Sie hatte das alles mit einer leisen Bescheidenheit erzählt, die Prieß angesichts ihrer außergewöhnlichen Karriere überraschte. »Aber jetzt hast du wirklich allen Grund, glücklich zu sein«, meinte er.
»Glücklich … ach, sagen wir lieber, ich bin zufrieden. Jedenfalls wenn nicht wieder einmal überdrehte Frauenrechtlerinnen versuchen, mich vor ihren Karren zu spannen.«
»Hast du denn nie …« Prieß zögerte. »Ich meine … warst du immer nur alleine?«
Sie schnitt ihm mit einem kurzen Heben des Zeigefingers das Wort ab.
»Friedrich Prieß, wenn du denkst, ich hätte die letzten zwei Jahrzehnte das Leben einer Nonne geführt, irrst du dich aber gewaltig.«
»Bitte verzeih«, entschuldigte er sich schnell, »das war unüberlegt von mir. Ich wollte dich nicht verärgern.«
»Hast du auch nicht, keine Sorge. Du sollst halt nur wissen, dass ich auch nach unserer gemeinsamen Zeit noch ein Intimleben hatte. Nicht, dass du dir am Ende noch irgendwelche Illusionen machst … Männer neigen ja dazu.«
Der Kellner servierte den Geflügelsalat.
Als Friedrich und Alexandra wieder ungestört waren, traute der Detektiv sich endlich, auf den eigentlichen Grund dieses gemeinsamen Abends zu sprechen zu kommen.
»Ja, in der Tat, ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte die Polizeipräsidentin. »Und ich habe einen Weg gefunden, dir ein wenig zu helfen, ohne meine Vorschriften zu missachten. Viel ist es allerdings nicht, und vielleicht führt es dich auch nicht weiter. Wie du ja weißt, wurden die eigentlichen
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