Kaisertag (German Edition)
gegen den sich sämtliche bisherigen Probleme seines Lebens absolut lächerlich ausnehmen würden.
»Was nun?«, fragte er ratlos.
»Das kommt ganz auf dich an. Die Kieler Polizei will nicht weitermachen, und meine Leute dürfen nicht. Aber das ist mir ganz gleich. Es geht mir gegen den Strich, dass eine Frau nicht erfahren soll, warum ihr Mann tot ist. Mich interessiert nicht, ob dahinter nun der Geheimdienst steckt oder einfach nur Stümperhaftigkeit gepaart mit Arroganz – Franziska Diebnitz hat ein Recht darauf, zu wissen, wer ihren Mann dazu gezwungen hat, sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen, und warum. Darum mache ich dir einen Vorschlag, Fritz …«
Aufmerksam beugte Prieß sich vor, als befürchte er, etwas zu überhören.
»Offiziell sind mir die Hände gebunden«, sagte die Polizeichefin mit einer fast nicht wahrnehmbaren Spur von unterdrücktem Zorn in der Stimme. »Aber wenn du den Fall weiterverfolgst, werde ich dich unterstützen, so weit es die Umstände zulassen. Als Gegenleistung erwarte ich, dass du mich über alles informierst, was du herausfindest. Bist du damit einverstanden?«
»Himmel, Alexa, das ist … das ist unglaublich. Das willst du wirklich für mich tun?«
»Ich tue das nicht für dich, sondern weil es das Richtige ist. Aber mein Angebot steht. Nimmst du es an?«
Sie sah ihn direkt an. Jeder Muskel ihres Gesichts schien angespannt zu sein und völlige Entschlossenheit auszudrücken.
»Ja!«, antwortete Prieß ohne langes Überlegen und schlug mit der flachen Hand auf die Lehne seines Sessels. »Ich bin dabei.«
»Ich hatte nichts anderes erwartet.« Ihre Züge entspannten sich, und zu Prieß’ Überraschung lächelte sie sogar ein wenig. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. »Ich schlage vor, wir reden heute Abend weiter. Komm bitte um sieben Uhr zu mir. Der Bürgermeister erwartet mich in zehn Minuten wegen der Vorbereitungen zu diesem unsäglichen Kaisertag. Ich wünschte, der ganze Blödsinn würde ausfallen oder sie würden den Tag wenigstens einfach so feiern wie sonst auch, mit ein paar Ansprachen und einem Konzert der Regimentsmusik …« Sie seufzte entnervt.
Friedrich Prieß erhob sich aus dem Sessel. »Dann wünsche ich dir, dass diese Besprechung schnell und schmerzlos über die Bühne geht. Ich werde pünktlich bei dir sein. Nochmals vielen Dank und …«
»Verschone mich mit deinen Danksagungen, sonst überlege ich’s mir noch anders«, fiel Alexandra ihm grinsend ins Wort.
Und Prieß lachte, was ihn selber erstaunte, denn er hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr gelacht. Mit einer seltsamen Mischung aus Euphorie und Verunsicherung verließ er dann das Büro.
Der Nachmittag kroch voran, der Abend rückte näher. Es wurde ruhiger auf dem Markt, dem von Bauten aus acht Jahrhunderten umstandenen Platz in der Mitte Lübecks. Beherrscht wurde das steinerne Bilderbuch der Geschichte vom Rathaus, das beinahe so alt war wie die Stadt selber. Sein fensterreicher Hauptbau, verblendet mit glasierten Ziegeln, die einst ein Vermögen gekostet hatten und Einheimischen wie Fremden den Wohlstand der Handelsmetropole vor Augen führen sollten, ruhte auf gotischen Arkaden. Daneben erhob sich eine hohe, mit Türmchen bestückte Schaufassade, die durch zwei mächtige, kreisrunde Windlöcher ein unverwechselbares Aussehen erhielt. Ein Renaissanceanbau aus Sandstein, kunstvoll gearbeitet, aber zugleich merkwürdig blass und kraftlos wirkend gegenüber der dominierenden herben Backsteinarchitektur, schmiegte sich daran an. Auf wundersame Weise fügten sich alle Erweiterungen in den verschiedensten Stilen zu einem harmonischen Ganzen, das Zeugnis ablegte für den soliden Stolz, der die Bürger der Stadt vor langer Zeit erfüllt haben musste, und für das Gespür für Proportionen, das die mittelalterlichen Baumeister ausgezeichnet hatte.
Dass dieses Gespür irgendwann verloren gegangen war, belegte hingegen das Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Marktes. Aufdringlich wucherte dort das Hauptpostamt in die Breite und in die Höhe, biederte sich mit einer überladenen Front im sterilen neogotischen Gewand bei den Formen des Rathauses an und konnte doch nicht verleugnen, dass es im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert entstanden war, um mit fast schon brutaler Monumentalität die Autorität des Reiches unübersehbar ins Herz der alten Hansestadt zu tragen. Fast wirkte es, als würde der Kaak – ein
Weitere Kostenlose Bücher