Kaisertag (German Edition)
Unbekannten ja zurücklassen, damit es so aussah, als wäre er selber dorthin gefahren. Also sind sie wohl mit zwei Automobilen unterwegs gewesen, weil sie für die Rückfahrt einen zweiten Wagen brauchten.«
Friedrich kam plötzlich wieder in den Sinn, welchen Auftrag er von Diebnitz’ Witwe erhalten hatte: Die Verantwortlichen für den Tod ihres Mannes zu finden, falls sich herausstellen sollte, dass es kein Selbstmord war. Unvermittelt gewann diese Aufgabe eine neue, unheimliche Bedeutung. Etwas Bedrohliches, etwas Böses schien Prieß jetzt in diesen Aufnahmen eines starren Körpers im Dreck präsent zu sein. Doch es war nebelhaft, gestaltlos.
Und das machte es für den Detektiv nur noch beunruhigender.
Doch eines wusste er mit Sicherheit: Wer einen Mann kaltblütig in den Tod trieb und dann nachts mit der Leiche auf der Rücksitzbank umherfuhr, um einen Suizid zu inszenieren, war bei Weitem skrupelloser und gefährlicher als die schlimmsten Zeitgenossen, denen er bisher gegenübergestanden hatte.
Und da ihn sein Beruf schon in die wirklich finstersten Ecken geführt hatte, wollte das etwas heißen.
Je länger er über alles nachdachte, desto stärker wurde der Drang, von diesem Auftrag zurückzutreten. Dank der neuen Fakten würde die Kieler Kripo die Ermittlungen zweifellos wieder aufnehmen, und die Experten in Sachen Mord würden ganz sicher die Schuldigen finden. Dann, so meinte Prieß, würde er Franziska Diebnitz eine Erfolgsmeldung liefern und sich auf vertretbare Weise aus diesem Fall zurückziehen können.
Doch Alexandra Dühring bereitete diesen Hoffnungen ein jähes Ende. »Aussichtslos«, sagte sie. »Ich habe schon mit Kiel telefoniert und angefragt, ob die Ermittlungen wieder aufgenommen werden, falls neue Tatsachen ans Tageslicht kommen. Das mit den Schuhen habe ich zunächst für mich behalten. Die Antwort war eindeutig: Die Akte Diebnitz ist geschlossen und bleibt es auch. Die Untersuchungen haben angeblich eindeutig ergeben, dass der Oberst sich selber umgebracht hat und keine weiteren Personen beteiligt waren. Auch weitere Fakten, so mein geschätzter Kollege in Kiel, würden daran nichts ändern können.«
»So ein Blödsinn!« Friedrich fasste sich an den Kopf. »Die wissen noch nicht mal, warum er sich erschossen haben soll, und erklären den Fall dennoch schon für abgeschlossen? Wenn ich meine Arbeit auch so machen würde … ›Gnädige Frau, Ihr Mann betrügt Sie. Ich konnte zwar nicht herausfinden, wann, wo und mit wem, aber das ist ja auch gar nicht so wichtig.‹ Läuft das bei der Kripo immer so?«
Alexandra sammelte die Fotos wieder ein und steckte sie zurück in den Umschlag, den sie dann in der Schublade ihres Schreibtisches einschloss. »Nein, ganz und gar nicht. Wenigstens sollte es nicht so sein. Dieses Verhalten ist so unglaublich kurzsichtig und borniert, das ist sogar für die preußische Polizei ein neuer Rekord. Tja, ich habe dann jedenfalls schön für mich behalten, was ich dank der Fotos herausgefunden habe. Am Ende müsste ich sie sonst noch herausgeben, weil die Lübecker Polizei in dieser Angelegenheit ja nicht ermitteln kann und also auch keine Dokumente dazu besitzen darf. Und dann würden diese Leute die Fotografien einfach abheften und vergessen, ohne auch nur einen Millimeter von ihrer Auffassung abzurücken, dass der Fall abgeschlossen ist. Das will ich nicht riskieren. Auch, weil da noch etwas ist …«
Alexandra verstummte für einen Augenblick und fasste sich nachdenklich ans Kinn, so als wäre sie sich nicht ganz sicher, ob sie weitersprechen sollte.
»Möglicherweise«, sagte sie dann, »hat die Kieler Polizei vom Reichsamt für Militärische Aufklärung einen Hinweis bekommen, dass eine genauere Untersuchung nicht erwünscht ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es dem RMA überhaupt nicht in den Kram passt, wenn jemand im Leben eines seiner Offiziere herumstochert. Dabei könnten ja ungewollt Angelegenheiten ans Licht kommen, die mit Diebnitz’ Arbeit zusammenhängen. Das kann das RMA natürlich nicht wollen, und daher hat es vielleicht hinter den Kulissen darauf gedrängt, dass die Ermittlungen eingestellt werden, je eher, desto besser.«
Das erschien Prieß denkbar, und es bestärkte ihn in der Überzeugung, sich in einer argen Zwickmühle zu befinden. Er konnte den Fall nicht einfach aufgeben, wollte er sich seine Zukunft nicht verbauen. Aber wenn er weiterhin Nachforschungen betrieb, handelte er sich unter Umständen Ärger ein,
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