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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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wechseln«, meinte Alexandra. »Dazu müssten wir allerdings zunächst wissen, wo er zu finden ist …«
    Friedrichs Grinsen verriet, dass er bereits einen Schritt weiter war. »Darum habe ich mich schon gekümmert. Ich habe mein gesamtes Kleingeld geopfert und einige Telefongespräche geführt. Glücklicherweise kenne ich einige Leute, auch wenn sie sich nicht gerade freuen, von mir zu hören. Von Rabenacker ist Stabsoffizier beim IX. Armeekorps, und momentan ist er als Beobachter bei den Frühjahrsmanövern in der Lüneburger Heide. Ich denke, ich werde morgen einen kleinen Ausflug zum Truppenübungsplatz Raubkammer machen …«
    Alexandra nickte anerkennend. »Alle Achtung, gar nicht schlecht. Du musst in deinem Beruf wirklich gut sein.«
    Was nicht viel heißen will , lag es Prieß auf der Zunge, aber er schluckte den Satz schnell herunter und sagte stattdessen: »Ich wäre dir dankbar, wenn du morgen Diebnitz’ Vermieterin, diese Wehnicke, ein wenig aushorchen und dich in der Wohnung umsehen könntest. Mir hat sie die Tür vors Gesicht geknallt, aber vielleicht hat die Polizeipräsidentin da mehr Glück. Ach ja, und sprich doch mal mit dem Offiziersburschen, Karl Lämmle. Er ist noch nicht in seine Wohnung in Diebnitz’ Villa in Hamburg zurückgekehrt, also muss er noch hier sein.«
    Alexandra Dühring schnalzte mit den Fingern. »Wo du gerade von dieser Frau redest – sie und dieser Lämmle wurden routinemäßig von Beamten aus Kiel vernommen. Was dabei herausgekommen ist, weiß ich zwar nicht … aber wir werden ja sehen, was die beiden mir so erzählen.«
    Sie nippte an ihrem Glas, und es wurde ruhig. Keiner von beiden sprach. Die Stille war Prieß unangenehm, denn er hatte das Gefühl, als müsste er etwas sagen und wüsste nicht, was. Und dazu noch diese Nähe zu Alexandra … er sah sie nicht nur, er fühlte sie. Ihre Präsenz erschien Prieß wie eine Kraft, die ihn vollkommen durchdrang, schwer und lähmend, doch zugleich auch wirbelnd wie die Strömung eines Flusses, der alles mit sich riss. Er hatte Angst vor diesen widersprüchlichen und übermächtigen Empfindungen.
    Ein dumpfes Brummen zerriss die Stille. Was immer für wenige Sekunden von Friedrich Prieß Besitz ergriffen hatte, zerstob zu nichts. Er blickte nach oben und sah den Zeppelin Kronprinzessin Sophie Viktoria über die Dächer hinwegziehen. Die silbrige Hülle des Luftschiffes schimmerte rötlich in den letzten Strahlen der Abendsonne, die Positionslichter blinkten im Takt rot-weiß.
    Auf Alexandras Gesicht erschien ein vielsagendes Lächeln. »Die gute alte Kronprinzessin … sie fliegt immer noch, genau wie damals. Du erinnerst dich doch bestimmt noch, oder?«
    Prieß nickte. Er hatte versucht, es zu vergessen, aber es war ihm nie gelungen. Als wäre es gestern gewesen, sah er alles vor sich: den strahlend blauen Himmel, die Ostsee, die Dünen. Sogar das Kreischen der Möwen und der salzige Geruch des Meeres hatten sich als fernes Echo in sein Gedächtnis eingebrannt. Es war der schönste Sommer seines Lebens gewesen. Sie hatten nackt am einsamen Strand auf der Mecklenburger Seite der Lübecker Bucht gelegen, die Sonne genossen und sich über den Rest der Welt lustig gemacht. Durch das Fernglas hatten sie nach Travemünde hinüberblicken können, wo sich die Menschen dicht an dicht drängten und steif die Promenade entlanggingen, die Damen in langen weißen Sommerkleidern mit den damals noch weit verbreiteten mörderischen Korsetts darunter, die Herren in gestreiften Anzügen, in denen sie vor Schweiß zerflossen.
    Alexandra und er hatten sich darüber vor Lachen ausgeschüttet. Und ehe sie sich versahen, schwebte plötzlich die Kronprinzessin Sophie Viktoria über ihren Köpfen, mit abgestellten Motoren und keine vierzig Meter hoch. Die Besatzung hatte an den weit geöffneten Fenstern des Zeppelins gestanden und ihrer Bewunderung für Alexandras unverhüllten Anblick durch ein wildes Pfeifkonzert Ausdruck verliehen. Es hätte unglaublich peinlich sein müssen, aber Friedrich und Alexandra hatten noch gelacht, als die Kronprinzessin ihre Maschinen längst wieder angeworfen hatte und auf die Ostsee hinaussteuerte.
    »Ja«, antwortete Prieß, »ich weiß es noch. So etwas Bizarres vergesse ich nicht.« Er grinste matt und trank seinen Cognac aus. Dann fuhr er fort: »So, aber nun werde ich mich auf den Weg machen. Ich muss morgen zunächst mal nach Hamburg, ehe ich weiter in die Lüneburger Heide fahre. Ich werde wohl schon vor

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