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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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augenfälligen Spuren von Gewalt vorhanden war, die hinzunehmen er gewohnt war, empfand Prieß als pervers. Nur eine einzige Verletzung war da, ein unscheinbares kleines Loch im Kopf, das sich dieser Mensch selbst beigebracht hatte. Dieses Loch erschien Prieß, ohne dass er recht wusste, warum, widerlicher als alle klaffenden Wunden und Blutpfützen, die er mittlerweile schon gesehen hatte.
    »Ekelhaft«, grummelte er, steckte die Aufnahmen zurück in den Umschlag, warf ihn auf den Beifahrersitz und startete den Motor. Er ließ einen pferdebespannten Lieferwagen passieren, dann betätigte er den Winkerhebel und fuhr los.
      
    Bei seiner Rückkehr zum Hotel musste Prieß feststellen, dass er bereits erwartet wurde. Auf dem Hof parkte ein schwarzer Benz-Opel mit dem Lübecker Adler auf den Türen und einem Blaulicht auf dem Dach. Daneben stand ein Polizist, der sich sofort in Bewegung setzte, als er Prieß’ Automobil erblickte.
    Friedrich bezweifelte keine Sekunde, dass dieses kleine Empfangskomitee ihm galt. Er fragte sich, was Alexandra mit ihm vorhaben mochte. Er stieg mit dem Umschlag in der Hand aus.
    Der Polizist kam auf ihn zu und sagte: »Herr Friedrich Prieß? Ich habe den Befehl, Sie unverzüglich zur Frau Polizeipräsidentin zu bringen. Wenn Sie bitte mitkommen würden?«
    Für den Bruchteil einer Sekunde spielte Prieß mit dem Gedanken, sich zu weigern. Er wusste nicht, was seine frühere Verlobte im Sinn hatte, aber es konnte nur etwas Unangenehmes sein. Er wollte ihr nur ungerne gegenübertreten, schon gar nicht, nachdem er sie so verärgert hatte. Aber was hätte es schon für einen Sinn gehabt, die Aufforderung des Polizisten zu ignorieren?
    Eine Anzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt wollte Prieß auf gar keinen Fall riskieren, denn das konnte ihn leicht seinen Gewerbeschein kosten. Die Behörden warteten nur auf Gelegenheiten wie diese, um den ungeliebten Privatdetektiven die Zulassung wegen ungebührlichen Verhaltens oder mit ähnlich schwammigen Begründungen zu entziehen. Also fügte er sich in das Unvermeidbare, stieg in den Polizeiwagen und bereitete sich auf eine sicher alles andere als lustige Begegnung mit Alexandra Dühring vor.
      
    »Danke, Wachtmeister. Sie können gehen.«
    Der Polizist schlug die Hacken zusammen und verließ dann folgsam das Büro. Friedrich war mit Alexandra alleine. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und sah ihn auf eine Weise an, die er nicht recht zu deuten wusste. Es war, als hielte sie eine große Überraschung bereit.
    »Gut, dass du da bist, es gibt etwas Wichtiges, das ich mit dir bereden muss.«
    Widerspruchslos setzte er sich ihr gegenüber und harrte nervös der Dinge, die ihm bevorstanden. Ohne lange Vorrede zog Alexandra einen Stapel Fotografien aus der Schublade, breitete sie auf dem Tisch aus und sagte dazu: »Ich nehme an, dir kommen diese Bilder bekannt vor?«
    Verblüfft sah Friedrich Prieß die Aufnahmen, die den toten Gustav Diebnitz zeigten. Es waren die gleichen, die der Umschlag in seiner Hand enthielt.
    »Aber – ich dachte, die Lübecker Polizei bearbeite diesen Fall überhaupt nicht«, meinte Prieß verwirrt.
    »Die Polizei hat damit, im Augenblick wenigstens, nichts zu tun«, entgegnete Alexandra. »Mir hat diese Sache einfach keine Ruhe gelassen. Nach unserem verunglückten gemeinsamen Abend habe ich nicht sofort einschlafen können, und während ich wach lag, ist mir einiges durch den Kopf gegangen. Ich habe mich gefragt, ob Diebnitz’ Frau sich wirklich in ihm geirrt haben kann. Sag, was du willst, aber wir Frauen kennen euch Männer besser als ihr euch selbst. Und wenn sie tatsächlich so felsenfest davon überzeugt ist, dass er nicht der Typ war, der in einer ausweglosen Situation Selbstmord begeht …«
    Prieß winkte ab. »Gefühlsmäßige Einschätzungen. Darauf gebe ich keinen Groschen. Weibliche Intuition halt, aber nichts Handfestes, worauf ich mich verlassen kann.«
    »Ach, du konntest dich halt noch nie in andere Menschen hineindenken.« Alexandra lächelte süffisant. »Was du ›weibliche Intuition‹ nennst und als lächerliche Einbildung vom Tisch wischst, hat meistens einen absolut rationalen, aber komplizierten Ursprung. Im Verlaufe ihrer Ehe hat Franziska Diebnitz eine unüberschaubare Fülle von Details über das Wesen und Verhalten ihres Mannes in sich aufgenommen. Und als er tot war, hat ihr Verstand – der Verstand, Fritz, nicht das Gemüt – mithilfe dieser Erfahrungen unbewusst eine Art

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