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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Sonnenaufgang aufbrechen. Kann ich morgen Abend wieder herkommen, ungefähr um die gleiche Zeit?«
    »Natürlich, Fritz. Und ich bin auch schon neugierig, was es mit diesem Oberst von Rabenacker auf sich hat. Möglicherweise gar nichts, aber wer weiß …«
    Sie verabschiedeten sich voneinander, und Prieß ging um das Haus herum zur Straße. Als er gerade in sein Auto einstieg, vollendete der Zeppelin am nun schon dunklen Himmel sein letztes Wendemanöver für diesen Tag und verschwand dann hinter den Baumkronen.
        
     

Sonntag, 22. Mai
     
    Erst erhoben sich unter den Zuschauern bewundernde Rufe, dann brandete begeisterter Beifall auf. Viele, die zwischen Gras und Heidekraut beim Picknick saßen, sprangen spontan auf und applaudierten lebhaft. Alle waren hingerissen von der schneidigen Eleganz, mit der die 12. Ulanen über die Ebene preschten, sich im vollen Galopp zu einer wie mit dem Lineal gezogenen Angriffsformation gruppierten und dann die Lanzen mit den flatternden Fähnchen zur Attacke senkten.
    Eingeschüchtert durch den Anblick der unaufhaltsam auf sie zudonnernden Lanzenreiter ergriff die gegnerische Infanterie die Flucht. Damit waren die Linien des Feindes im Zentrum durchbrochen und das 4. Sächsische Grenadier-Regiment konnte nachrücken. Es war ein herrlich anzuschauendes Spektakel, das Publikum wurde nicht enttäuscht.
    Die Manöver des Reichsheeres zogen gerade im Frühjahr und Sommer immer zahlreiche Schaulustige an, Tausende strömten zu diesen Anlässen herbei und ganze Familien verfolgten von den Rändern der Truppenübungsplätze aus die bis ins kleinste Detail einstudierten Choreographien der Kompanien, Bataillone und Regimenter. Die großen Frühjahrsmanöver in der Lüneburger Heide, an denen außer der Marine alle Waffengattungen beteiligt waren, wurden schon seit Jahren so angesetzt, dass die besonders aufsehenerregende Abschlussschlacht auf den Pfingstsonntag fiel, damit möglichst viele Untertanen des Kaisers Gelegenheit hatten, die prächtige Armee des Deutschen Reiches in Aktion zu bestaunen.
    Die Kavallerie hatte ihre Aufgabe bravourös erfüllt, nun konnte die moderne Technik zum Zuge kommen. Begleitet von erneutem Beifall der Zuschauer, erschien am Himmel das 8. Geschwader der Luftflotte, dreißig riesige Zeppelin-Luftkreuzer, deren blanke Duraluminium-Hüllen in der Mittagssonne glänzten. Natürlich öffneten sie nicht wirklich ihre Bombenschächte, um aus nur fünfhundert Metern Höhe den Tod auf die sich zurückziehenden Gegner regnen zu lassen; stattdessen gingen Offiziere, durch ihre weißen Armbinden als Schiedsrichter ausgewiesen, inmitten der geordnet zurückweichenden Infanterie umher und gaben bekannt, wo ihrer Ansicht nach Bomben einschlugen und in einem Radius von zwanzig Metern jeden Soldaten zerfetzten. Die davon betroffenen Männer ließen sich zu Boden fallen und galten somit als erfolgreich neutralisiert. So lichteten sich schnell die Reihen des Feindes, und es war ihm nicht möglich, eine neue Verteidigungslinie zu bilden. Alles lief wie gewünscht.
    Prieß kannte das alles. Er hatte selber an gut einem Dutzend größerer Manöver teilgenommen und erinnerte sich mit Schaudern an die endlosen Planungen, bei denen die lächerlichsten Kleinigkeiten berücksichtigt werden mussten. Ältere oder hochdekorierte Einheiten hatten bei den Attacken Vorrang zu erhalten vor gewöhnlichen Linientruppen, besonders vornehme Einheiten wie etwa das 1. Garderegiment zu Fuß hatten grundsätzlich das Privileg, die entscheidenden Angriffe ausführen zu dürfen. Auf gar keinen Fall durften Einheiten, die ganz oben in der Rangfolge standen, der Seite zugeschlagen werden, die als Verlierer vorgesehen war. Schließlich und endlich wurde auch noch verlangt, dass alles recht beeindruckend wirken sollte. Und wenn alle diese Fragen geklärt waren, wurden sämtliche Bewegungen und Operationen des Manövers exakt vorausberechnet, sodass das Endergebnis nichts weiter war als ein ins Gigantische gesteigertes Kasernenhof-Exerzieren ohne störende Überraschungen. Eben so, wie man sich bei der Generalität auch einen Krieg wünschte. Ganze Nächte hatte Friedrich Prieß sich gemeinsam mit den übrigen jungen Offizieren seines Regiments am Schreibtisch bei Manöverplanungen um die Ohren geschlagen.
    Er zog sich noch einmal die Uniform zurecht; sie roch unangenehm nach Mottenkugeln, aber an der frischen Luft würde das, so hoffte er, nicht auffallen. In dem dunkelblauen Waffenrock mit dem

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