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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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vergangene Abend so zugesetzt hatte, denn er war mit Alexandra Dühring doch nur zum Essen ausgegangen und schon kurz nach elf ins Hotel zurückgekehrt. Deprimiert musste er sich eingestehen, dass er einfach nicht mehr der Jüngste war. Aber trotz dieser unschönen Spätfolgen war es ein schöner Abend gewesen.
    Ich hätte nicht geglaubt, dass es mir je wieder so viel Spaß machen könnte, mit Alexandra zusammen zu sein , dachte er. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht daran gewöhne …
    Nachdem er wieder halbwegs zu sich gefunden hatte, zog er sich den Bademantel über, nahm Handtuch und Seife vom Tisch neben der Tür und machte sich auf den Weg zur Etagendusche.
      
    Da es für ein Frühstück bereits zu spät war, musste Prieß mit Kaffee und einem Leberwurstbrot vorliebnehmen. Dafür war die Gaststube fast leer, sodass er in aller Ruhe essen und nebenbei die Zeitung lesen konnte. Mittlerweile drängten sich die unangenehmen Nachrichten aus der großen Welt selbst beim Lübecker General-Anzeiger unübersehbar in den Vordergrund. Der Ton zwischen London und Berlin wurde immer schärfer. In Indien war nach Hungeraufständen mit Hunderten von Toten das Kriegsrecht über die acht größten Städte des Landes sowie über vier Provinzen verhängt worden. Bei antideutschen Demonstrationen in der britischen Hauptstadt hatte man Militär aufbieten müssen, um die aufgehetzte Menge davon abzuhalten, die deutsche Botschaft zu stürmen. Und aus Whitehall kam nun auch erstmals eine Warnung, dass Großbritannien jede Bedrohung seines Verbündeten Dänemark durch andere Staaten nicht tatenlos hinnehmen werde. Die Antwort aus Berlin hatte nicht lange auf sich warten lassen: Deutschland behalte sich das Recht vor, mit allen Mitteln gegen die Unterstützer der dänischen Separatisten in Schleswig-Holstein vorzugehen, wer immer es auch sein möge. Und mitten in diese angespannte Situation platzte das Kriegsministerium mit der Ankündigung eines weiteren Atombomben-Tests am 1. Juli, diesmal im Pazifik nahe der deutschen Karolinen-Inseln. Ausdrücklich hieß es, dass bei diesem Versuch die Wirkung der neuartigen Waffe gegen Schlachtschiffe erprobt werden solle. Für die Seemacht England wäre ein solcher Waffentest selbst in ruhigen Zeiten eine offene Herausforderung und eine erniedrigende Ohrfeige gewesen. Bei der augenblicklichen Lage aber konnten die Folgen nur verheerend sein.
    In Prieß’ Mund machte sich ein schaler Geschmack bemerkbar, und daran war nicht der billige Kaffee schuld. Er hätte es natürlich auch gerne gesehen, wenn die Dänen eine Lektion erhalten hätten; aber der Gedanke an einen drohenden Krieg behagte ihm nicht. An den Stammtischen zwischen Königsberg und Köln, Flensburg und München gab es sicher viele, die sich von Bierdunst und Tabakqualm umnebelt lautstark ereiferten, die davon träumten, Dänemark zu zerquetschen, Englands Flotte auf den Grund des Meeres zu schicken und Frankreich, den Erbfeind und niederträchtigen Verbündeten Britanniens, wieder einmal zu demütigen und zurechtzustutzen. Und falls Russland, der träge Koloss im Osten, tatsächlich so dumm sein sollte, seine alte Allianz mit den Widersachern Deutschlands einzuhalten, würde auch das Zarenreich seine verdiente Strafe erhalten. Sie stürzten ein Bier und einen Schnaps nach dem anderen herunter, und mit jedem Glas wurden die Feinde widerlicher und der Sieg grandioser. Sie sahen die preußischen Ulanen bereits mit klingendem Spiel durch den Arc de Triomphe in Paris ziehen, während auf dem Eiffelturm die Flagge mit dem Kaiserlichen Adler flatterte, sie sahen deutsche Schlachtschiffe vor der Themsemündung, sie sahen Zeppelin-Luftkreuzer zur Siegesparade über St. Petersburg hinwegziehen. Aus dem dumpfen Nebel des Alkohols stiegen Visionen von gigantischen Siegen, von nie dagewesenem Ruhm, von Glanz und Gloria.
    Und eben zu diesen Leuten gehörte Prieß nicht. Er hatte nie einen Krieg erlebt, und selbst zu seiner Zeit als Soldat hatte er nie ernsthaft damit gerechnet, dass je ein echter Krieg ausbrechen könnte. Die Welt, in der er lebte, war ihm immer viel zu stabil und zivilisiert erschienen, als dass die großen Nationen je auf den Gedanken kommen könnten, ihre Streitigkeiten mit Waffengewalt auszutragen. Das war ein Mittel, das nur zweitrangige Staaten noch anwendeten. Den Großen Chinakrieg kannte er nur aus den Erzählungen seines Onkels, der in den vierziger Jahren im deutschen Kontingent des Internationalen Chinaheeres

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