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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Diebnitz. Doch dann verschwamm die düstere Szene, und als sie wieder feste Konturen gewann, hatte sie sich verwandelt und jagte Prieß noch viel mehr Furcht ein.
    Denn nun lag dort Alexandras lebloser Körper.
      
    Ein Fächer von Rottönen breitete sich über den ganzen Himmel aus, und während sich im Westen die gerade erst hinter den flachen Hügeln versunkene Sonne noch mit einem letzten Leuchten verabschiedete, schlich auf der gegenüberliegenden Seite schon die Dunkelheit der heraufziehenden Nacht herbei. Gleich über dem Horizont konnte man bereits das weiße Glitzern der ersten Sterne ahnen.
    Prieß hatte den ganzen Tag keine Ruhe gefunden. Zu viele Fragen, deren Antworten er nirgendwo sah, drehten sich pausenlos in seinem Hirn. Welcher der Menschen, die er in den vergangenen Tagen aufgesucht hatte, war direkt oder indirekt in den Mord an Diebnitz verstrickt? Wer hatte Siegfried Stölles Unfall herbeigeführt? Wo war Karl Lämmle, der nach dem Tod seines Dienstherrn so auffällig schnell von der Bildfläche verschwunden war? Welche Gefahren drohten ihm, Friedrich Prieß, wenn er diesen Fall wider jede Vernunft weiterverfolgte?
    Stundenlang hatte Prieß sich mit allen möglichen Überlegungen herumgeschlagen, Vermutungen aufgestellt, zurechtgebogen und schließlich wieder verworfen. Nichts passte, nichts schien weiterzuführen. Das bereitete ihm schlimme Kopfschmerzen; ihm war, als könnte sein Schädel jede Sekunde bersten.
    Irgendwann hatte er es nicht mehr ausgehalten und war mit dem Auto hinausgefahren aus dieser Stadt, die ihm den Atem abzuschnüren und ihn zwischen ihren steilen alten Backsteingiebeln zu erdrücken schien. Er wollte nur weg, fort aus Lübeck, über das sich ein unsichtbarer, aber bleischwerer und modrig kühler Dunst gelegt hatte, den keiner außer ihm fühlen konnte.
    Nun saß er am Rande eines Feldes auf einem Findling. In der Ferne, weit jenseits der dicht mit Bäumen bestandenen sumpfigen Niederung des Flüsschens Wakenitz, zeichneten sich die Silhouetten der sieben spitzen Kirchtürme Lübecks vor dem rot schimmernden Abendhimmel ab. Irgendwo in einem der struppigen Büsche, die den nahen Feldweg säumten, schimpfte eine Amsel. Sonst war es ganz still.
    Friedrich genoss die Ruhe und die friedliche Idylle einer Landschaft kurz vor Einbruch der Nacht. Aber er kam trotzdem nicht los von seinen Sorgen, die sich immer wieder in den Vordergrund seines Bewusstseins drängten. Schon seit einer ganzen Weile wollte ihm Paul von Rabenacker nicht aus dem Kopf gehen.
    Abgesehen von der alten Wehnicke hat mich keiner so schroff abgekanzelt … kein Wort wollte er mehr mit mir reden, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich den Grund für Diebnitz’ Tod suche. Da ist doch was faul …
    Langsam gewann die Dunkelheit die Oberhand am Himmel. Prieß fühlte nun auch, wie kühl der große Stein wurde, auf dem er saß. Er wollte nicht zusätzlich zu seinen übrigen Problemen auch noch eine Erkältung riskieren, daher stand er auf, drückte kurz den Rücken durch und ging dann durch das hohe Gras zurück zu seinem Automobil.
        
     

Mittwoch, 25. Mai
     
    Ungeduldig schaute Alexandra Dühring dem Mann im weißen Kittel über die Schulter und verfolgte, wie er sich mit verschiedenen weichen Pinseln und einem feinen Pulver an den Tasten einer Adler-Schreibmaschine zu schaffen machte. Schließlich legte er seine Arbeitsgeräte beiseite und meinte: »Nichts, Frau Polizeipräsidentin. Kein einziger Fingerabdruck, genau wie auf dem Brief. Er muss mit Handschuhen getippt haben.«
    Alexandra war von diesem Ergebnis nicht überrascht. Sie war sich jetzt völlig sicher, dass jemand anders auf dieser Maschine den Erpresserbrief geschrieben hatte. Nur weil das Gerät auf dem wackeligen Küchentisch in Stölles schäbiger Wohnung stand, hieß das noch lange nicht, dass es ihm auch gehört hatte.
    »Er hatte ja auch gute Gründe, vorsichtig zu sein«, entgegnete sie. »Können Sie mir sonst noch etwas über diese Schreibmaschine erzählen, Inspektor?«
    »Leider nicht viel, fürchte ich. Ein Standardmodell, wie man es in jedem Geschäft für Bürobedarf bekommt. Einfache Ausführung, ohne eine eigene Seriennummer, wie das bei teuren Exemplaren der Fall ist. Wie es aussieht, nagelneu. Auf der Walze sind nur die Spuren des fraglichen Briefes vorhanden, mehr wurde damit noch nicht geschrieben. Er muss sie erst vor Kurzem gekauft haben.«
    Der Inspektor verstaute seine Instrumente sorgfältig in den Fächern

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