Kaktus zum Valentinstag
Kardinalfehler machen!
Sie erzählt mir, dass sie streng nach der Bibel lebt. Und dass man aus der Bibel ersehen kann, dass die heutige Zeit das Ende dessen einläutet, was wir gerade erleben. Sie nennt das Harmagedon. Ein interessant klingendes Wort, das sich mir noch nie vorgestellt hat. Schließlich sagt sie: »Gott hat uns, den Zeugen Jehovas, den Auftrag gegeben, die Menschheit vor dem, was kommen soll, zu warnen. Bald wird die Zeit, in der wir leben, in Harmagedon ihren Höhepunkt finden, und nur, wer auf Jehovas Seite steht, wird gerettet werden. Wie aber sollen die Menschen von Jehova erfahren, wenn ihnen nicht jemand predigt?«
Was das ist, dieses Harmagedon, will ich wissen und frage sie danach.
»Harmagedon ist der Abschluss dieses Systems der Dinge. Gott wird die Welt und die Regierungen, wie sie jetzt bestehen, endlich vernichten. Alle Bösen werden untergehen. Danach werden die Überlebenden das Paradies auf der Erde wiederherstellen, so wie es die Bibel verheißen hat. Dann werden Tod und Krankheiten nicht mehr sein, und auf der ganzen Erde wird Frieden herrschen.« Diese merkartigen Worte erhalte ich als Antwort. Um zu verstehen, was sie mir damit sagen will, frage ich:
»Du möchtest also, dass auf der Welt Frieden herrscht?«
»Natürlich. Wer wollte das nicht?«
»Aber kann man Frieden denn nicht auch ohne die Zeugen Jehovas erreichen?«
»Haben die Menschen das denn jemals geschafft? Seit die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden, gab es immer irgendwo auf der Welt Krieg. Die Menschen sind nicht dafür geschaffen, sich selbst zu regieren. Da gibt es immer irgendwelche Spielverderber. Gottaber kann diese ein für alle Mal beseitigen. Und für ewiges Leben und ewige Gesundheit kann auch nur Gott sorgen.«
»Sicher«, erwidere ich, »völligen Frieden auf der ganzen Welt wird man wohl nie erreichen, aber trotzdem kann doch jeder für sich dafür sorgen, dass es um ihn herum so friedlich wie möglich wird. Wenn man da realistisch bleibt, kann man, denke ich, eine Menge erreichen.«
Wieder Stille am anderen Ende der Leitung. Nach einer Weile fährt sie fort:
»Gott hat aber verheißen, dass er die ganze Welt zu einem Paradies machen wird, in dem Frieden herrscht. Er wird die Menschen ein für alle Mal von der Herrschaft Satans befreien und …«
Satan? Was für ein gewalttätiges Wort! Das Wort veranlasst mich, sie sofort zu unterbrechen:
»Herrschaft Satans? Du glaubst also an einen Satan?«
»Die Bibel zeigt, dass Satan der Herrscher dieser Welt ist. Anders sind doch diese vielen Kriege und anderen Grausamkeiten kaum zu erklären. Bald aber wird er im Krieg von Harmagedon unschädlich gemacht werden. Alle, die auf Satans Seite stehen, werden in diesem Krieg umkommen.«
Ich bin geschockt. Gott, Manitu, Allah, Buddha oder wie du auch immer heißen magst, womit beschäftigen sich denn bloß die Menschen? Muss ich jetzt etwa auch noch besonders religiös werden, um Liebe zu empfangen? Wie auch immer, ich bin geneigt, sofort aufzulegen, aber dann hätte ich gleich aufgegeben, wäre schon bei der ersten kleinen Steigung des noch langen Gebirgspasses gescheitert. Daher bleibe ich doch dran. Mehr noch, ich muss das alles noch genauer wissen.
»Ihr macht also auf Kosten der Bibel einen Satanskult?«
»Nein, nein, wir sehen nur, was die Bibel darüber sagt.«
»Aber, ich meine … die Bibel ist doch auch nur von Menschen geschrieben worden.«
Ich versuche ihr klarzumachen, dass die Bibel ein Geschichtenbuch ist, deren Wahrheit nicht mehr überprüfbar ist. Und dass es vor allem ein Buch ist, das Menschen und niemand sonst geschrieben haben.
»Natürlich, aber Gott hat diese Menschen inspiriert. Er hat ihnen eingegeben, was sie schreiben sollen, so dass wir die ganze Bibel als das Wort Gottes betrachten können. ›Dein Wort ist Wahrheit‹, hat sogar Jesus dazu gesagt.«
»Du glaubst also, dass alles, was in der Bibel steht, stimmt?«, frage ich noch einmal.
»So ist es.«
An dieser Stelle erlebe ich zum ersten Mal einen Menschen hautnah, der sehr gläubig ist. Ein Mensch, der an Dinge glaubt, die einer ganz genauen Prüfung meiner Meinung nach nicht standhalten können; der an Dinge glaubt, die Auslegungssache sind. Die man auch anders verstehen und leben könnte, bei gleichem Bibeltext. Die Bibel ist doch letztendlich eine Art Richtlinie zur Lebensgestaltung, das versuche ich ihr klarzumachen. Aber die Diskussion darüber dreht sich im Kreis. Es ist eine echte Religionsdiskussion.
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