Kalifornische Sinfonie
bewegen. Sie hockten nebeneinander und schmorten in der stickigen Hitze wie Pfannkuchen. Florinda verzog nach einer kleinen Weile das Gesicht. »Riechen Sie was?« sagte sie.
»Ja«, flüsterte Garnet. »Sie stinken noch schlimmer als die Utahs.«
»Ich hätte das nicht für möglich gehalten, aber es ist so«, sagte Florinda. Sie hob die Decke ein wenig an. Einer der Digger saß nur wenige Fußbreit von ihnen entfernt auf der Erde. Er war völlig nackt, seine Haut schien beinahe schwarz und über und über mit Dreck verkrustet. Sein glattes, strähniges Haar sah aus wie ein Pferdeschwanz und hing ihm halb über Gesicht und Rücken. Blätter und Kletten und allerlei Gestrüpp hingen darin; außerdem schienen sich ganze Kolonien von Ungeziefer darin angesiedelt zu haben. Der Mann griff eben eine Eidechse auf, die neben ihm entlangkroch. Er zog dem Tier mit einer schnellen Bewegung den Schwanz ab und stopfte den sich windenden und krümmenden Rest in den Mund. Während seine Zähne den Kadaver zermalmten, grunzte er vor Behagen.
Etwas weiter entfernt hockten neun bis zehn fast splitternackte Indianer, denen das verfilzte, strähnige Haar in die Gesichter fiel. Unter den niedrigen Stirnen funkelten kleine Augen tückisch und bösartig. Sie hatten kleine, gedrungene Körper und aufgeschwemmte Bäuche. Während sie da hockten und auf das Essen warteten, das die Weißen ihnen bringen sollten, hoben sie allerlei kriechendes Gewürm auf und verschlangen es. Sie stanken bestialisch.
Garnet fühlte, wie ihr ganzer Körper sich mit einer Gänsehaut überzog; schaudernd ließ sie die Decke fallen. Dann kauerten sie wieder in der Dunkelheit nebeneinander. Garnet dachte daran, weshalb man sie vor diesen Halbtieren verbarg; ein Schauder des Entsetzens überlief sie. Sie erinnerte sich an die Utahs. Die hatten wenigstens gesunde, muskulöse und kräftige Körper und benötigten nur Wasser und Seife, um zu Menschen zu werden. Aber die Kreaturen, die jetzt da draußen hockten – nein, es war wohl nicht möglich, sie Menschen zu nennen. Es tat ihr leid, hinausgesehen zu haben. Sie hoffte, nie wieder einen Digger zu Gesicht zu bekommen.
Aber sie sollte bald in noch viel unangenehmere Berührung mit ihnen kommen.
***
Sie überquerten den Muddy Creek und zogen fünf Tage lang durch eine ungeheure Sandebene, die rings von ragenden Bergen umschlossen wurde. Die Hitze war schier unerträglich. Um Menschen und Tiere zu schonen, ritten sie während der Nächte unter einem sternfunkelnden Himmel. So heiß die Tage waren, so kalt waren die Nächte. Die Männer umhüllten ihre Schultern mit Decken und zitterten dennoch vor Kälte. Und ob es nun heiß oder kalt war, sie wurden unausgesetzt von brennendem Durst geplagt. Wasser wurde nur noch tassenweise ausgegeben.
Überall in der Ebene dörrten die weißen Knochen gefallener Maulesel, die von den Freßgelagen der Digger stammen mochten. Hier und da stieß man zwischen den Mauleselknochen auf die verstreuten Reste menschlicher Skelette. Diese traurigen Überbleibsel stammten von Männern der Kalifornien-Trecks, die den Diggerpfeilen nicht rechtzeitig entfliehen konnten, und von Diggern, die im Kampf um die Maulesel getötet worden waren. Die weißen Schädel grinsten aus leeren Augenhöhlen in den Himmel.
Die Männer waren den Anblick so gewöhnt, daß sie die Schädel nur eben mit dem Fuß beiseite stießen, wenn sie ihnen im Wege lagen.
Der Zug brach nun Abend für Abend bei Sonnenuntergang auf. Um Mitternacht wurde eine Rastpause eingelegt. Dann knabberten die Maulesel an dem vertrockneten Strauchwerk herum. Die Menschen aßen Pinole, mit kaltem Wasser bereitet. Es wäre nicht ratsam gewesen, in der Nacht Feuer zu entzünden. Denn überall konnten Digger hinter den Felsen liegen, und Feuer leuchteten meilenweit in der Nacht. Kalter, süßlicher Maismehlbrei war eine wenig verlockende Speise.
Nach der mitternächtlichen Pause wurde weitergeritten. Manchmal stießen sie bis zum Sonnenaufgang auf Wasser, manchmal mußten sie auch noch reiten, wenn die Sonne schon lange weißglühend am Himmel stand. Erreichten sie ein Wasserloch, hielten sie an, schlangen eine Schüssel Pinole herunter, warfen sich erschöpft in den Sand und zogen sich Decken über die Köpfe, um die Glut abzuhalten. Sie hatten trotzdem das Gefühl, auf einem Ofen zu schlafen. Garnet wußte nun, was Oliver meinte, als er auf den Höhen von Santa Clara gesagt hatte, es würde streckenweise noch ziemlich schlimm werden.
Weitere Kostenlose Bücher