Kalifornische Sinfonie
Sie betrachtete Florinda mit uneingeschränkter Bewunderung. Florinda litt sicherlich Folterqualen durch die Hitze und die Trockenheit, aber sie beklagte sich nie. Sie mühte sich offensichtlich, mit allen Strapazen fertig zu werden und Mr. Penrose keinen Grund zur Betrübnis zu geben. Penrose war noch immer sehr verliebt in Florinda und schätzte sich glücklich, ihre Gunst errungen zu haben. Aber er behandelte sie nicht anders als ein Kind seine Puppe. Wollte er etwas von ihr, so hielt er es für selbstverständlich, daß sie für ihn verfügbar war; hatte er anderes zu tun, ließ er sie ebenso selbstverständlich allein.
Florinda hatte offenbar nichts anderes erwartet, deshalb protestierte sie auch nicht gegen eine solche Behandlung. Ihre weiße Haut hatte überall Blasen bekommen, ihre Augen waren nahezu blind von dem grellen Licht, und Garnet sah zuweilen, daß sie beide Hände zum Kopf führte, als fürchtete sie, der Schädel würde ihr zerspringen, wenn sie ihn nicht zusammenhalte. Aber sie klagte nicht. Auch Garnet hatte kein Glied am Körper, das sie nicht schmerzte, aber sie war längst nicht so durch die Hitze gefährdet; ihr Haar war schwarz, und ihre Haut schützte sich selbst durch natürliche Bräunung. Florinda aber hatte ihre bleiche Schönheit von einer Menschenrasse ererbt, die zwischen den eisigen Fjorden und den kalten, grünen Gebirgen des Nordens zu leben gewohnt war. Sie war eine gesunde Frau, aber ihre Konstitution war nicht dafür gedacht, in der brennenden Wüstensonne zu schmoren. Wenn Garnet sie ansprach, um ihr Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen, ließ sie einen müden Seufzer hören und sagte allenfalls: »Ja, Liebe, es ist schrecklich. Aber ich werde damit fertig. Wäre gelacht, wenn ich es nicht schaffte!«
Während sie unter dem funkelnden Sternenhimmel dahinritten, sprach Garnet zu ihr von den Blumenfeldern Kaliforniens. Hier in der Sandwüste, zwischen den bleichenden Knochen von Menschen und Tieren, war es schwer, sich vorzustellen, wie Blumen aussähen.
Endlich, drei furchtbare Wochen nachdem sie die blühenden Wiesen von Santa Clara verlassen hatten, erreichten sie die Oase Archillette.
Garnet dachte: Vielleicht ist dies kein Paradies. Vielleicht ist die Archillette längst nicht so schön wie irgendein Park irgendwo in der Welt. Sie stieß gleichwohl einen Seufzer der Beglückung aus: Jetzt, nach dieser ungeheuren Sandwüste, schien dies der schönste Fleck Erde, den sie je im Leben gesehen. Sie ging zur Quelle hinunter und kniete sich nieder in das Gras, und die Tränen strömten ihr aus den brennenden Augen.
Die Archillette war rundherum grün. Sie wurde von einem kühlen, klaren Bach durchzogen, der zwischen den Felsen hervorsprudelte, zwischen Weiden und Baumwollstauden dahineilte und klares, herrliches Wasser führte. Es war Oktober, die Blätter der Baumwollstauden waren gelb; sie wogten wie goldene Flocken über dem grünen Gras. Garnet kniete auf den Steinen, hatte ihre Hände zu Schalen geformt, tauchte sie in das Wasser und trank. Sie wusch sich das Gesicht und schüttete Hände voll Wasser über ihr Haar, um den schmerzenden Kopf zu kühlen. Oliver kam, kniete sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Ist es nicht wundervoll?« sagte er. »Nun kannst du dich ausruhen; wir werden hier drei Tage rasten.«
»Kann ich so viel trinken, wie ich mag?«
»Ja, gewiß.«
»Und baden darf ich auch?«
»Sooft du willst. Außerdem werden wir endlich wieder etwas Ordentliches zu essen bekommen. Die Boys sind schon dabei, Holz zusammenzusuchen. Es wird ein warmes Gericht aus Fleisch geben, dazu heißen Maisbrei und Kaffee. Ich denke, wir können auch noch ein paar Vögel schießen.«
Sie hielten ein königliches Mahl, und in dieser Nacht schlief Garnet so lange und friedlich, wie sie zum letztenmal vor drei Wochen auf den Höhen von Santa Clara geschlafen hatte. Am nächsten Morgen fand sie die Archillette dann nicht mehr ganz so paradiesisch, wie sie ihr im ersten Augenblick erschienen war.
Sie ging umher und erfreute sich an dem Wunder der grünen, leuchtenden Kühle. Stromab, in der Nähe des Platzes, wo die Maulesel angepflockt weideten, gewahrte sie grüne Gewächse, die wie Brunnenkresse aussahen. Als sie herangeschlendert kam, um etwas davon zu pflücken, hielt sie erschrocken inne.
Vor ihr lagen rundherum menschliche Knochen. Sie schimmerten weiß in der frühen Morgensonne. Wahllos durcheinandergestreut moderten da Rippen, Arme, Beine, Schädel
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