Kalifornische Sinfonie
Kampf verwundet wurde; das ist in jedem Land eine Ehre, und bei unserem Treck gibt es keinen Mann, der das nicht respektieren würde. Und wenn es einen gäbe, der nicht bereit wäre, alles für Sie zu tun, dann wäre er der Sohn einer Hündin und wir – entschuldigen Sie, Miß Garnet, nehmen Sie einen Schluck Wasser. Trinken Sie ruhig. Sie müssen viel trinken. Wenn man Blut verloren hat, braucht man Wasser, und Sie haben ziemlich viel Blut verloren. So, nun legen Sie sich flach zurück. Ja, so ist’s recht. Ich werde Ihnen sagen, was getan werden muß.«
Texas schob ihr eine seiner großen Hände unter den Kopf und versuchte sie so bequem wie möglich zu betten. Garnet fuhr sich mit der Zungenspitze über die spröden und trockenen Lippen. »Nun also, Texas«, flüsterte sie, »was müssen Sie mit mir machen?«
Texas holte einmal tief Luft. Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest. »Erschrecken Sie nicht zu sehr, Miß Garnet«, sagte er, »ich muß Ihnen die Wunde mit einem glühenden Eisen ausbrennen.«
»Nein!« Garnet fuhr ruckhaft hoch; die Bewegung verursachte ihr einen heftigen Schmerz. Sie preßte den Ellbogen unterhalb der Wunde. »Texas«, flüsterte sie, »das können Sie doch nicht – es ist rohes Fleisch – eine klaffende Wunde –
»Ich fürchte, es muß sein, Miß Garnet«, sagte Texas.
Sie starrte ihm ins Gesicht. Jeder Nerv in ihr zitterte, sie fühlte, wie sich ihr Mund öffnete, wie sich die Lippen von den Zähnen zurückzogen, wie sich ihr ganzer Körper von oben bis unten mit einer Gänsehaut überzog. Texas wies mit der Hand irgendwohin. Ihre schreckgeweiteten Augen folgten der weisenden Hand. Sie sah hier und dort ein paar Boys vor den Feuern kauern. Und sie sah: Dort wurde im Augenblick nicht gekocht, dort wurden die Eisenstangen, an denen sonst die Kochtöpfe hingen, rotglühend gemacht. Unweit der Feuer lagen auf Decken die sechs durch Diggerpfeile verwundeten Männer; einer von ihnen stöhnte vernehmlich. Garnet keuchte:
»Müssen die alle gebrannt werden?«
»Ja, Madam«, sagte Texas. »Und sie wissen, daß es geschehen muß. Sie haben das schon früher erlebt.«
Garnet ließ einen Laut des Schauderns hören, sie schüttelte sich. Texas legte ihr einen Arm um die Schulter und gab ihr einen Schluck Wasser zu trinken.
»Miß Garnet«, sagte er, »Sie waren sehr tapfer. Versuchen Sie, es noch ein paar Minuten länger zu sein.«
Ich will, dachte Garnet, ich will! »Muß es wirklich sein, Texas?« flüsterte sie. »Warum muß es sein?«
»Legen Sie sich lang, Madam«, sagte Texas, »ich werde es Ihnen erklären.«
Garnet legte sich lang. Jeder Muskel, jeder Nerv in ihr zitterte. Sie hörte die Maulesel schreien und die Männer über die Digger fluchen, die die ganze Schweinerei verursacht hatten. Einer der Boys schluckte und schluchzte bei der Arbeit; er war mit dem getöteten Jungen befreundet gewesen.
»Hören Sie zu, Madam«, sagte Texas. »Die Diggerpfeile sind gefährlich; man redet davon, daß sie vergiftet seien. Ich weiß nicht, ob sie es sind. Vielleicht ist es auch nur der Schmutz. Alles, was die Digger anfassen, ist verdreckt. Jedenfalls haben wir es uns aus böser Erfahrung zur Pflicht gemacht, jede durch einen Diggerpfeil verursachte Wunde, selbst die unbedeutendste Schramme, auszubrennen. Ich habe Männer erlebt, die sich dagegen sträubten, Männer, die nur eine ganz unbedeutende kleine Schnittwunde hatten, die aussah, als ob sie in wenigen Tagen heilen würde. Und dann begann das Fleisch um die kleine Wunde herum anzuschwellen, wurde giftig rot und sonderte eitrige Flüssigkeit ab. Nicht lange danach wälzten die Männer sich brüllend vor Schmerzen am Boden und baten händeringend darum, daß wir sie erschießen und von ihren Qualen erlösen möchten. Manchmal starben sie so, und manchmal mußten wir sie tatsächlich erschießen, weil sie zu wilden Tieren wurden und alles erschlugen, was ihnen in den Weg kam. So ist das, Miß Garnet, es ist furchtbar, aber es ist so, und ich muß es Ihnen sagen.«
Garnet hatte das Gefühl, ihre Zunge sei so angeschwollen, daß sie keinen Platz mehr in der Mundhöhle habe. »Treten diese Folgen immer ein?« fragte sie leise.
»Nein, Madam, nicht immer. Es kommt vor, daß die Wunde auch so heilt. Aber das kann man im Anfangsstadium nie wissen. Und wenn man weiß, wie die Wunde sich entwickeln wird, kann es zu spät sein. Dann würde auch Ausbrennen nichts mehr helfen. Es wäre deshalb besser, Sie ließen es geschehen.«
Garnet
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