Kalifornische Sinfonie
schluckte, aber es war nichts zum Schlucken da. Ihr Mund war schon wieder vollkommen trocken. »Es ist gut, Texas«, sagte sie mit heiserer Stimme, »brennen Sie die Wunde aus.«
»Sie sind eine großartige Frau, Miß Garnet«, sagte Texas.
Garnet schloß die Augen und legte den gesunden Arm darüber. Sie fragte sich, ob es ihr wohl gelingen würde, die Zähne zusammenzubeißen und nicht zu schreien. Sie dachte: Ich darf vor all diesen Leuten nicht schreien. Sie sollen nicht denken, ich sei eine empfindliche Zierpuppe, die besser zu Hause geblieben wäre. Ich darf Oliver nicht traurig machen. Er soll nicht bedauern, mich mitgenommen zu haben. Ich habe mitgewollt, sagte sie sich mit verbissenem Trotz. Ich wollte nach Kalifornien. Jetzt muß ich es durchstehen. Ich müßte nur etwas haben, worauf ich beißen kann, etwas Hartes. Wenn ich die Zähne dann ganz fest zusammenpresse, brauche ich nicht zu schreien.
Sie hörte Schritte herankommen und gleich darauf die Stimme John Ives’: »Wie geht es ihr, Texas?« Und dann hörte sie Oliver: »Hast du es ihr gesagt?«
»Ja«, antwortete Texas, »ich habe es ihr gesagt. Sie hat es aufgenommen wie ein alter Veteran.«
Garnet öffnete die Augen. Oliver kniete neben ihr. Sein Haar und sein Bart waren so verwildert, daß sie außer den Augen nicht viel von ihm sah. Aber in den Augen war ein zärtlicher Glanz.
»Wenn du willst, gebe ich dir vorher einen großen Schluck Whisky«, sagte Oliver.
Sie schüttelte den Kopf: »Nein, keinen Whisky. Er würde mir zu Kopf steigen, und ich würde dann vielleicht die Beherrschung verlieren und schreien.«
John beugte sich hinab und besah aufmerksam die Wunde. »Ein häßlicher Schnitt, aber nicht sehr tief«, sagte er, Garnet in seiner kühlen Art kurz anlächelnd. »Schreien Sie ruhig, Mrs. Hale, niemand wird etwas dabei finden.« Er nahm die Wasserflasche auf: »Beinahe leer.«
»Ich werde sie füllen«, sagte Oliver. Während er zum Bach hinunterging, kam Florinda heran und setzte sich neben John. Sie hatte nicht gehört, was Texas Garnet angekündigt hatte, und lächelte die Verwundete ermunternd an.
»Ich wäre schon längst dagewesen und hätte mich um Sie gekümmert, Garnet«, sagte sie, »aber ich mußte mich erst einmal anziehen. Sind Sie böse verletzt worden?«
»Nein, nicht sehr schlimm. Ihnen ist nichts geschehen?«
»Ich habe Glück gehabt. Ich bin in meinem ganzen Leben nicht so erschrocken gewesen. Ich schlief noch ganz fest, als es losging. Muß einen ziemlich spaßigen Anblick geboten haben, im weißen Nachtgewand hinter der Sattelwand kniend und schießend.«
»Penrose erzählte mir, Sie hätten zwei Digger erschossen«, sagte John.
»Er will mir schmeicheln. Ich glaube nicht, daß ich den zweiten getroffen habe. Aber mir geht es gut. Garnet ist nun ein verwundeter Soldat. Können wir nicht irgend etwas tun, um ihr zu helfen?« Sie beugte sich hinab und besah gleichfalls die Wunde. »Wie ist das, John«, sagte sie, »sollte man sie nicht verbinden? Es könnte Staub hineinkommen.«
»Texas wird sich darum kümmern«, erwiderte John. Einer seiner Maultiertreiber rief ihn, und er stand auf. »Bleiben Sie hier, Florinda«, sagte er.
Florinda riß einen Streifen von ihrem Unterrock ab, befeuchtete ihn mit Wasser und begann Garnets Stirn zu kühlen. Sie lächelte ihr zu: »Tut es sehr weh, Darling?«
»Nein, nicht sehr. Aber –; Garnet begann unwillkürlich zu frösteln; alle Angst, die sie bisher vor den anderen gewaltsam zurückgehalten hatte, brach jetzt heraus. »Florinda«, flüsterte sie, »wissen Sie, was man mit mir machen will? Texas will die Wunde mit einem glühenden Eisen ausbrennen.«
»Nein!« Florinda schrie auf und ließ die Flasche fallen, daß das Wasser herausrann. »Ausbrennen – die offene Wunde – das ist doch unmöglich.«
»O Florinda, ich habe Angst. Aber die Männer sollen es nicht wissen. Sie sollen nicht wissen, was für eine entsetzliche Angst ich habe. Florinda, wenn Texas mit dem Eisen kommt – ich weiß nicht, wie lange es noch dauert, es muß erst rotglühend sein – wenn er kommt, bitte halten Sie meine Hand, helfen Sie mir, nicht schwach zu werden und zu schreien; bitte, Florinda!«
Florinda stieß einen unartikulierten Laut aus. Sie drückte das nasse Tuch aus; das Wasser lief ihr zwischen den Fingern herab, die in einem Lederhandschuh steckten, und tropfte zur Erde. Oliver kam mit der gefüllten Wasserflasche zurück. Er setzte sich neben Garnet und bat sie, ruhig
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