Kalifornische Sinfonie
feuchten Löffel über Garnets Lippen. Garnets Zungenspitze erschien, um die Feuchtigkeit aufzunehmen. »Das hat sie jetzt schon mehrmals gemacht«, flüsterte Florinda. »Jetzt können wir einen Schritt weitergehen. Wir müssen sehr vorsichtig sein. O John, unsere Mühe hat sich gelohnt.«
Ihre linke Hand tastete sich an ihn heran; er umschloß sie hart mit der eigenen. Sie hielten sich fest und verhielten schweigend. Die fünf Minuten vergingen. Florinda tauchte den Löffel ins Wasser und ließ ihn abtropfen. Diesesmal strich sie nur sacht darüber, hob den Löffel etwas an und ließ einen vollen Tropfen Wasser auf Garnets Unterlippe träufeln. Garnet schlief noch fest, aber ihre Zunge erschien und leckte den Tropfen ab. John sah dem Vorgang unruhig zu; seine Augen begegneten denen Florindas.
»Ich weiß, was Sie denken«, flüsterte Florinda, »Sie möchten, daß es schneller mit ihr vorwärtsginge. Aber es darf nicht schneller gehen.«
John kniete nieder und schlang seinen Arm sacht um ihre Taille; Florinda ließ ihren Ellbogen auf seiner Schulter ruhen. Sie beobachteten schweigend die Kranke. Alle fünf Minuten ließ Florinda einen weiteren Tropfen Wasser auf Garnets Lippen fallen.
Nach einem Weilchen bemerkte John, daß ihre Hand vor Ermüdung zitterte. Er nahm ihr den Löffel ab.
Sie gab erschöpft nach. »Immer nur einen einzelnen Tropfen«, flüsterte sie; »einen winzigen Tropfen nur, Johnny.«
Sie ging in das Wohnzimmer, legte sich nieder und schlief auch schon. Als sie aufwachte, brachte ihr John Braten und heiße Tortillas aus der Küche. Florinda hatte ihre Übereinkunft mit Charles eisern gehalten; sie hatte die beiden Zimmer keinen Augenblick verlassen. John brachte ihr Wasser zum Waschen, und sie stellte die Spüleimer vor die Tür, wo sie von den Dienstmädchen weggeholt und gesäubert zurückgebracht wurden.
Während Florinda frühstückte, ging John zu Garnet und setzte sich neben das Bett Garnet öffnete die Augen.
Florinda hatte ihm gesagt, was er tun solle, wenn Garnet erwachte. Er beugte sich über das Bett und sagte mit seiner ruhigen Stimme: »Es geht Ihnen sehr viel besser, Garnet. Verstehen Sie mich?«
Garnet nickte und sah in fragend an.
»Wir wollen jetzt etwas versuchen«, sagte John. »Sie sind sehr durstig, nicht wahr?« Sie nickte wieder. »Florinda wird Ihnen ein paar Tropfen Wasser einträufeln. Nur ein paar winzige Tropfen. Sie brauchen nur zu schlucken und sich ganz ruhig zu halten.«
Garnet warf ihm einen entsetzten Blick zu und schüttelte den Kopf. »John«, flüsterte sie, »ich kann nicht – ich kann doch nicht.«
»Sie sollen es nur versuchen«, sagte John. »Wollen Sie?«
Garnet sandte ihm ein hilfloses Lächeln. »Ich will es versuchen«, flüsterte sie.
»Sehr gut.« John hörte, wie sich die Tür hinter ihm öffnete. »Florinda kommt«, sagte er.
Er schob seinen Arm unter das Kissen und hob ihren Kopf etwas an. Florinda lächelte Garnet zu und strich ihr mit dem feuchten Löffel über die Lippen. Sie ließ einen Tropfen fallen. Garnet schluckte und John legte ihren Kopf wieder zurück.
»Rühren Sie sich nicht, Garnet«, sagte Florinda, »atmen Sie ruhig und tief. Sie müssen den Atem von ganz unten heraufholen.« Garnet gehorchte und schloß die Augen. Florinda hielt die Uhr in der Hand und starrte auf das Zifferblatt.
Sie wartete diesmal fünfzehn Minuten. Dann sagte sie: »Wir wollen es noch einmal versuchen, Garnet.«
Garnet schluckte einen kleinen Teelöffel Wasser. Und wieder wartete Florinda fünfzehn Minuten. Das Wasser kam nicht zurück. Florinda sagte: »Halten Sie jetzt einen Mittagsschlaf, Johnny. Ich werde Sie nachher wieder brauchen.« John ging.
Als er am Nachmittag wieder erwachte, verkündete Florinda ihm triumphierend, daß Garnet sich nicht einmal übergeben habe. Wenn ihr Magen aber Wasser angenommen habe, werde er auch Milch annehmen. »Milch?« sagte John und begann unwillkürlich zu lachen. »In Kalifornien – Milch?«
»O mein Gott, Lieber, ich vergaß«, stammelte Florinda. Und auch sie mußte jetzt lachen. Da weideten nun Tausende und aber Tausende von Kühen auf den Hügeln rundum. Aber Kühe, das hieß hier: Leder und Fleisch und Talgkerzen. Kaum ein Kalifornier verwandte jemals Milch. Sie wurden indessen gleich wieder ernst. »Aber wir müssen unbedingt Milch haben, John«, sagte sie; »können Sie nicht wenigstens etwas besorgen?«
»Ja«, versetzte John, »ich werde Milch beschaffen. Es wird ein bißchen Zeit
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