Kalifornische Sinfonie
flüsterte sie, »es ist mir absolut gleichgültig, was Charles sagt. Es berührt mich nicht.« Ihre Stimme klang leise und beruhigend. »Er ist ein armer Teufel; ich habe fast so etwas wie Mitleid mit ihm. Ich glaube nicht, daß er jemals im Leben eine wirkliche Freude hatte. Er hat sicher nie ein Mädchen auf den Knien gehabt, das ihm versicherte, er sei ein wundervoller Mann. Schließen Sie die Augen, Darling. Atmen Sie tief. Sie haben einstweilen nichts weiter zu tun, als zu schlafen. Sie können so lange schlafen, wie Sie wollen. John ist hier und ich bin auch da; wir werden Sie beide nicht mehr allein lassen.« Sie sprach unausgesetzt weiter, mit ruhiger, einlullender Stimme, die sanft und weich wie eine Feder in der Luft schwang. Ganz allmählich begann Garnets Körper sich zu entspannen; schließlich schlief sie ein. Florinda kam zu John und setzte sich neben ihn auf die Wandbank.
»Lassen Sie uns einen Augenblick warten, bis sie wirklich fest eingeschlafen ist«, flüsterte sie.
Sie saßen nebeneinander und warteten. Um sie herum war lautlose Stille; nur das dumpfe Geräusch stampfender Pferdehufe drang zuweilen von draußen herein. Nach einem Weilchen flüsterte Florinda: »Die Uhr – haben Sie sie?«
»Hier«, John reichte ihr seine eigene Uhr.
»Stellen Sie die Lampe auf den Tisch, so, daß ich die Uhr sehen kann. Schirmen Sie die Lampe zum Bett hin ab.«
Sie setzte sich wieder neben Garnet, tauchte den Löffel, den John ihr gebracht hatte, in das Wasser, ließ ihn abtropfen und strich Garnet damit sacht über die aufgesprungenen Lippen. Garnet rührte sich nicht. Florinda verfolgte aufmerksam den Uhrzeiger. Nach fünf Minuten feuchtete sie den Löffel abermals an und berührte Garnets Lippen damit. Nachdem sie das dreimal in Abständen von fünf Minuten getan hatte, winkte sie John heran. Er kam und beugte sich herab, so daß sie ihm ins Ohr flüstern konnte.
»Haben Sie gesehen, was ich mache?« flüsterte sie.
»Ja.«
»Wir müssen das alle fünf Minuten wiederholen, die ganze Nacht durch, morgen während des ganzen Tages und auch noch die ganze folgende Nacht. Bis auf die Zeit, wo sie wach ist. Sobald sie aufwacht, müssen wir damit aufhören, denn sie darf nicht wissen, daß wir es tun. Aber sie ist so erschöpft, daß sie wohl während der meisten Zeit schlafen wird. Und während der Zeit müssen wir ihre Lippen feuchthalten. Nach einer Weile wird sie einen Tropfen Wasser hinunterschlucken, ohne es zu wissen, und sie wird ihn behalten. Ihre Magennerven haben einen solchen Schock bekommen, daß sie nichts bei sich behalten würde, von dem sie weiß, daß sie es bekommt.«
John nickte: »Soll ich das übernehmen?«
»Nein. Ich werde das wahrscheinlich besser machen, denn ich weiß, worauf es ankommt. Haben Sie irgendeinen Schlafplatz?«
»Im Nebenzimmer; dort liegt auch unser Gepäck. Aber wie ist es mit Ihnen?«
»Ich bleibe hier. Wenn ich mich nicht länger wachhalten kann, werde ich Sie rufen. Wir wechseln uns ab.«
John stimmte ihr zu. Florinda näßte den Löffel, ließ ihn abtropfen und führte ihn sacht über Garnets Lippen. Garnet rührte sich nicht.
John ging ins Nebenzimmer und holte Florindas Packen. »Sie sollten sich etwas leichter und bequemer anziehen«, sagte er und ging wieder hinaus. Florinda entkleidete sich schnell und zog ein Nachthemd und einen wollenen Schlafrock an. Sie löste die Haarnadeln und schüttelte ihr Haar hinunter. John fand ein paar Decken im Schrank und legte sich in Garnets Wohnzimmer auf dem Fußboden zum Schlaf nieder.
Der Morgen dämmerte eben, als Florinda ihn weckte.
»John«, flüsterte sie, »meine Hand beginnt zu zittern. Es wird besser sein, wenn Sie jetzt meinen Platz einnehmen.«
John setzte sich auf. »Wie geht es ihr?«
»Sie ist einmal kurz aufgewacht. Sie sprach auch ein paar Worte, aber ich habe sie schnell wieder zum Einschlafen gebracht. Kommen Sie, ich möchte sehen, ob Sie es richtig machen.« John ging mit ihr in das Schlafzimmer und befeuchtete Garnets Lippen mit dem Löffel, wie er es bei Florinda gesehen hatte.
»Gut«, flüsterte Florinda, »Sie haben begriffen. Alle fünf Minuten. Nicht öfter.«
»Ich weiß Bescheid. Jetzt holen Sie sich etwas Schlaf.«
Florinda huschte in das Nebenzimmer und hüllte sich in die Decken, die John eben verlassen hatte.
***
Garnet hatte allerlei wunderliche Träume. Sie sah glitzernde Bäche, an deren Ufern zwischen grauem Gestein wundervolle Farngewächse aufschossen; die breiten
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