Kalifornische Sinfonie
Ihrer Ranch bis Los Angeles geritten sind.«
»Nein, das taten wir allerdings nicht. Wir wußten überhaupt nicht, daß in Los Angeles Unruhe herrscht. Aber da kein Mensch weiß, was östlich des Gebirges los ist, weiß man auch nicht, was in diesem Jahr an Waren aus Santa Fé kommt. Deshalb bin ich zu Nikolai geritten und habe ihm vorgeschlagen, hierher zu reiten, um vorsorglich unseren Bedarf anzumelden. Unterwegs hörten wir dann, wie es hier aussieht, und beschlossen, Sie beide aus der Stadt herauszubringen.«
»Ein großartiger Gedanke«, sagte Florinda. »Aber – sehen Sie, John, ich habe ziemlich viel in den Betrieb hier hineingesteckt. Raten Sie mir ernsthaft, das im Stich zu lassen?«
»Ja«, sagte John, »unbedingt. Und ich bin überzeugt, Silky wird auch weggehen.« Er begann ihnen die Situation zu erklären: »Stockton hat nur fünfzig Soldaten unter Captain Gillespie hiergelassen. Einen Teil davon hat Gillespie nach San Diego geschickt. Außer der schwachen Garnison sind zur Zeit keine zwanzig Amerikaner in der Stadt. Und es gibt hier, trotz Befehl und Haussuchungen, immer noch Hunderte von Kaliforniern, die Waffen besitzen. Und es sieht aus, als täte Gillespie alles, um sie so weit zu bringen, daß sie schießen.«
»Wahrhaftig, das tut er«, gab Florinda zu. Aber sie widerstrebte noch immer. »Nun gut«, sagte sie schließlich, »wahrscheinlich ist es immer noch besser, Geld als das Leben zu verlieren.«
Garnet hörte Stephen oben schreien und stand auf. »Ich komme gleich wieder und helfe dir, das Geschirr abzuwaschen«, sagte sie.
Nikolai, der noch über seiner Schüssel mit Fleisch und Bohnen saß, lächelte sie an. Auch er war seit drei Tagen unrasiert, aber während Johns Kinn von schwarzen Stoppeln bedeckt war, wies das seine einen rötlichen Flaum mit einem leichten Goldschimmer auf. »Ich werde abwaschen«, sagte Nikolai.
»Sie sind unser Gast«, wehrte Garnet ab.
»Ja, aber ich bin ein angenehmer Gast«, sagte Nikolai.
»Gehen Sie zu Ihrem Baby, Garnet«, lächelte John. »Wir sind nicht gekommen, um Ihnen Arbeit zu machen. Wir sehen uns morgen früh.«
»Nun gut. Vielen Dank denn«, sagte Garnet und nahm eine der Kerzen vom Tisch. »Gute Nacht!«
»Gute Nacht!« lächelte John, und Nikolai warf ihr eine Kußhand zu. Sie war schon auf der Treppe, als sie Florinda fragen hörte:
»Wo werden Sie uns unterbringen, John?«
»Auf Kerridges Ranch.«
»Oh, zu Doña Manuela sollen wir? Großartig, John, aber wird sie uns auch wollen?«
»Ich bin überzeugt, sie wird entzückt sein«, sagte John. Garnet ging weiter die Treppe hinauf; sie hörte nicht mehr, was weiter gesprochen wurde. Mein Gott! dachte sie; ich habe gar nicht gefragt, wo er uns hinbringen will. Ich habe gar nicht daran gedacht. Und sie gestand sich ein, daß ihr Vertrauen zu ihm schon viel größer war, als ihr bisher zum Bewußtsein gekommen war.
Nachdem sie Stephen versorgt hatte, stellte Garnet die Kerze in eine vor dem Luftzug geschützte Ecke und setzte sich auf die Wandbank neben dem offenen Fenster. Die Luft war jetzt, nach einem sehr heißen Tag, empfindlich kühl; sie spürte den strengen Duft der Salbei. Den sternenklaren Horizont begrenzte die ragende Kulisse der Berge. Garnet war froh, ein paar ruhige Minuten für sich ganz allein zu haben. Sie war grenzenlos müde. Sie hatte versucht, es sich nicht anmerken zu lassen; ach, sie war ja entschlossen, alles zu tun, was von ihr verlangt wurde. Aber es war sehr schwer. Sie war müde an Körper und Geist; nach der widerlichen Szene mit Charles hatte sie sich völlig zerschlagen gefühlt. Doch sie hatte keine Zeit, sich auszuruhen. Übermorgen würde sie schon wieder auf die Reise gehen müssen.
Ihr war, als habe sie die meiste Zeit ihres Lebens damit zugebracht, auf einem Pfad ohne Ende von einem Ort zum anderen zu ziehen. Wie gut wäre es, irgendwohin zu gehören! Wie gut wäre es, zu sagen: Nun ist es vorbei! Nun brauche ich nicht mehr umherzuziehen. Hierher gehöre ich. Hier werde ich Ruhe und Frieden und Sicherheit haben.
Sie ließ die Stirn auf die Hände sinken. Ruhe und Frieden und Sicherheit – gab es das überhaupt? Hier gewiß nicht. Ihr Leben in Kalifornien kam ihr vor wie das Land selbst. Kalifornien war ein Land, in dem man tagelang reiten konnte, ohne an irgendein Ziel zu gelangen. Hinter den ragenden Bergen gab es nichts als Wüsten und Steppen und abermals Berge. In solch einem Lande und in solch einem Leben blieb einem nichts übrig, als die
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