Kalifornische Sinfonie
Vorschlägen dieser Art auf, Charles«, sagte sie, bemüht, ihre Stimme im Zaum zu halten. »Sie könnten sich an den fünf Fingern ausrechnen, daß ich Ihnen mein Kind nie und unter keinen Umständen gebe.«
Seine Augen verengten sich bedrohlich; sie sahen jetzt aus wie zwei dunkle Stecknadelköpfe. »Sie begehen da einige Irrtümer«, sagte er. »Sie vergessen, daß Kalifornien nicht mehr so etwas wie ein mexikanischer Vorposten ist. Ich habe sehr gute Freunde unter den Offizieren der Armee. Und es dürfte kaum einer von ihnen der Meinung sein, ein Haus mit Bar-und Spielbetrieb sei der angemessene Aufenthalt für ein Kind. Es könnte sehr leicht geschehen, daß Sie gezwungen würden, mir das Kind zu geben.«
Garnet begriff im Augenblick. Sie begriff sehr viel schneller, als er sich vermutlich vorstellte. Und sie fragte sich, wie sie nur einen Augenblick habe annehmen können, Charles’ Heirat werde sie von diesem Vampir befreien. Er hatte sich also auch gesagt, daß die Einführung der amerikanischen Gesetzgebung in Kalifornien ihr eines Tages die Möglichkeit verschaffen könnte, das Vermögen ihres Kindes von ihm zu verlangen. Deshalb legte er nun erst recht Wert auf das Kind. Denn wenn es auf der Ranch aufwuchs, verblieb ihm die Nutznießung dieses Vermögens bis zu seiner Volljährigkeit. Bis dahin würde es ihm zweifellos gelungen sein, jede Spur eines selbständigen Charakters aus dem Jungen herauszupressen, und das so gründlich, daß Stephen wahrscheinlich freudig nach allem greifen würde, was der Onkel ihm großmütig bewilligte. Garnet kochte vor Wut; in ihrer Kehle bildete sich ein Kloß.
»Wenn Sie zu irgend jemand auch nur ein Wort in der angedeuteten Richtung verlauten lassen, werde ich jedermann erzählen, warum ich gezwungen bin, in einer Bar zu arbeiten«, stieß sie heraus. Ihre Stimme klang rostig und rauh. »In dem Augenblick, wo man Sie zwingen wird, mir mein und meines Kindes Vermögen auszuzahlen, werde ich diese Tätigkeit aufgeben. In der Zwischenzeit werde ich mich mit Ihnen nicht mehr unterhalten. Verschwinden Sie, und lassen Sie sich nicht wieder bei mir sehen. Verdammt sei Ihre schleimige, verkümmerte Seele, Sie widerlicher Narr!«
Charles ließ ein kurzes, beinahe amüsiertes Lachen hören.
»Sie täten besser daran, auf mich zu hören, Garnet«, sagte er; »Sie möchten sonst leicht selber zur Närrin werden. Weigere ich mich denn etwa, meine Pflichten zu erfüllen? Jetzt gleich, auf der Stelle, bin ich bereit, Ihnen ein Ihrer Herkunft und Erziehung würdiges Heim anzubieten. Noch ein paar Worte in der eben von Ihnen beliebten Richtung, und ich werde mich an dieses Angebot nicht mehr gebunden halten.«
»Machen Sie, daß sie hinauskommen«, knirschte Garnet.
»Schön«, sagte Charles. »Sie werden mich wiedersehen, und das wird kein Spaß für Sie sein.« Einen Augenblick zögerte er noch, sie mit seinen kleinen Kugelaugen durchbohrend, als wolle er sich vergewissern, ob der Sinn seiner letzten Bemerkung ihr auch richtig aufgegangen sei, dann setzte er seinen Hut auf und verließ das Lokal. Garnet hörte Florindas helle Stimme vom anderen Ende der Bar herüberdringen: »Wäre das nicht ein verdammt feiner Spaß: Hunderte von Boys aus New York!? Möglicherweise kenne ich einige von ihnen. Was meinen Sie, wann werden die Boys in Los Angeles sein?«
***
Frémont verließ Los Angeles am 12. Mai 1847. Am gleichen Tage noch traf das New Yorker Regiment unter Colonel Jonathan Stevenson in der Stadt ein. Es bestand aus sieben-bis achthundert jungen Burschen, fast ausnahmslos unter fünfundzwanzig, teilweise sogar unter zwanzig Jahren. Sie waren erst im letzten Sommer rekrutiert worden, und zwar zu dem Endzweck, sie in Kalifornien anzusiedeln. Sie hatten sich verpflichtet, bis zum Ende des Krieges als Soldaten zu dienen. Danach sollten sie in Kalifornien oder dem nächstgelegenen USA-Staat ausgemustert werden. Die Freiwilligen hatten, nach zweimonatiger Ausbildung auf der Gouverneursinsel, New York im September 1846 auf drei Transportern, von einer Kriegsschaluppe begleitet, verlassen. Im März waren sie in San Franzisko eingetroffen. Der Großteil des Regiments wurde nach Los Angeles gelegt, als Colonel Stevenson dort im Mai das Kommando übernahm. Es war ein bunt gewürfelter Haufen junger Männer, der da ankam: Mechaniker, Clerks, Farmerssöhne und junge Burschen, die überhaupt noch nichts gelernt hatten. Neben Studenten und Facharbeitern standen Leute, die weder lesen noch
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