Kalifornische Sinfonie
schreiben konnten.
Garnet hatte insgeheim gehofft, unter den New Yorkern einen Bekannten zu finden, obgleich die Möglichkeit sehr gering war, da die Freunde und Bekannten ihres elterlichen Hauses sich auf einen sehr engen Kreis beschränkten. Unter den Burschen, die in den ersten Tagen ihrer Anwesenheit die Bar betraten, erkannte sie denn auch niemand. Aber sie war schon glücklich, die Jungen reden zu hören. Das war wie ein Gruß aus der Heimat. Fast alle waren im Staat New York oder einem der Nachbarstaaten aufgewachsen; nahezu die Hälfte hatte ihr ganzes bisheriges Leben in der Stadt New York selbst zugebracht. Sie redeten vom Broadway, vom Bowery-Theater und von Barnum’s Museum; sie erzählten von dem Eis in Niblon’s Gärten, von den Sonntagsausflügen nach Weehawken und von dem Duellplatz, auf dem Aaron Burr Alexander Hamilton erschossen hatte. Garnet empfand bei diesen Erzählungen eine doppelte Reaktion. Manchmal war ihr, als habe sie New York gestern erst verlassen, dann wieder schien alles, was die Boys redeten, noch weiter entfernt, als der Kalender auswies. So irrsinnig viel erlebt hatte sie seit jenem windigen Märztag, da sie mit Oliver den New Yorker Hafen verließ, daß sie das Gefühl hatte, der weitaus größte Teil ihres ganzen bisherigen Lebens drängte sich in diesen kurzen zwei Jahren zusammen. Sie hörte den Burschen zu und hatte das unbestimmte Gefühl, das alles läge lange, sehr lange zurück.
Was Florinda anging, so hatte sie selbst zwar keinen Bekannten unter den New Yorkern gefunden, wohl aber gab es da eine ganze Anzahl Männer, die sich an sie erinnerten. Es war vier Jahre her, seit sie in New York auf der Bühne gestanden hatte, deshalb wußten die meisten der jüngeren Burschen nichts von ihr. Viele der älteren aber hatten sie nicht nur gesehen, sondern auch heimlich bewundert und waren nun ganz aufgeregt, sie hier wiederzusehen und noch dazu so direkt und unmittelbar, nur durch die Bartheke getrennt. Die meisten wußten auch, warum sie New York seinerzeit verlassen hatte, denn der Selkirk-Skandal hatte damals ziemliche Wellen geschlagen. Dann und wann fragte sie einer: »Sie haben ihn doch nicht erschossen, nicht wahr?«
»Gewiß nicht«, antwortete sie dann; »sehe ich aus wie eine Frau, die Leute erschießt? Und haben Sie mich etwa für die Mörderin gehalten?«
Nein, das hatten sie natürlich nicht. Jeder einzelne wies den Gedanken weit von sich, und Florinda tat, als glaube sie ihnen. Jetzt, nachdem sie die alte Geschichte mit Garnet besprochen hatte, machte es ihr nichts mehr aus, darüber zu reden.
»Ich habe durch ein paar geschickte Fragen etwas über Reese herausbekommen«, erzählte sie Garnet eines Tages. »Der Prozeß ist ihm nicht gemacht worden, aber der Boden muß ihm trotzdem zu heiß geworden sein; jedenfalls hat er es vorgezogen, nach Europa zu gehen.« Sie lachte befriedigt. Ach, es war nett, die New Yorker Jungen um sich zu haben.
Ende Mai – Garnet war nun schon wieder zwei Monate in Los Angeles – erschien Johns Boy Pablo in der Bar, strahlte Garnet mit seinem treuherzigen Lächeln an und überreichte ihr einen Brief.
Als Garnet die Schrift auf dem Umschlag erkannte, begann ihre Hand zu zittern, und sie hörte den lauten Schlag ihres Herzens. Sie war so aufgeregt, daß sie Mühe hatte, Pablo ein paar Dankesworte zu sagen und ihm als landesüblichen Gruß eine Flasche roten Weines zu geben. Pablo erklärte, er sei beauftragt, auf Antwort zu warten. Garnet begab sich in die Küche und ließ sich mit zitternden Gliedern auf die Wandbank sinken. Ihr Herz schlug immer noch einen Trommelwirbel. Sie war wütend über sich selbst, weil sie sich so schlecht zu beherrschen verstand, und sie war noch wütender auf John, weil er es fertigbrachte, sie auf solche Weise zu erregen. Sie empfand es als unerträgliche Demütigung, daß sie einen Mann liebte, ohne in gleicher Weise wiedergeliebt zu werden, und daß sie zum Überfluß nicht die Willensstärke aufbrachte, damit fertig zu werden. Sie wünschte sich, stark genug zu sein, um den Brief ungelesen zu zerreißen. Aber sie konnte es nicht. Johns Brief war nur kurz. Er lautete:
»Liebe Garnet,
ich kann zwar ohne dich leben, aber es macht mir keinen Spaß. Ich vermisse Dich, und ich habe sehr, sehr großes Verlangen nach Dir. Hast Du Dich besonnen? Willst du mich so, wie ich bin? Sage ja, und ich komme nach Los Angeles, um Dich zu holen. Sage nein, und ich bin überzeugt, wir sehen und finden uns trotzdem
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