Kalifornische Sinfonie
verzogenen Mund! Denkt sie, es mache mir Spaß, mein Kind in einer Schenke aufwachsen zu sehen?
Der großartige Reitertroß verschwand um eine Hausecke und entzog sich ihren weiteren Blicken. Wahrscheinlich waren sie auf dem Weg zum Hause Señor Escobars.
»Miß Garnet«, sagte McConnell neben ihr. »Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie sehen so blaß aus.«
Ich fühle mich auch so, dachte Garnet. »Ich habe Kopfschmerzen«, sagte sie, und das war nicht erfunden. McConnell und Dorkins geleiteten sie zur Bar zurück und sagten ihr auf dem Verandavorplatz Lebewohl. Garnet ging in die Küche und bat Micky, ihr ein Kännchen starken Kaffee zu kochen. Sie setzte sich an den Tisch und vergrub den Kopf in den Händen. »Lieber Gott«, flüsterte sie, »gib, daß ich wieder nach Hause kann. O Gott, bitte, bitte, nimm mich hier heraus!«
Vierzigstes Kapitel
In den folgenden Tagen wurde Garnet ruhiger. Charles war ihr deshalb nicht weniger widerlich als bisher. Aber ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, daß alles mit der Zeit seine Regelung finden würde. Auch hier in Kalifornien würde über kurz oder lang die amerikanische Gerichtsbarkeit eingeführt werden. Dann würde sie als Witwe eines vermögenden Mannes und Mutter seines Kindes ihr Recht fordern können, und es würde ihr auch gewährt werden.
Wann es soweit sein würde, wußte sie nicht, denn noch war der Krieg nicht zu Ende. Einstweilen mußte sie hier in der Bar bleiben. Aber mit dem, was sie verdiente, und dem, was Oliver ihr hinterlassen hatte, konnte sie die Passage für die Heimfahrt bezahlen. Erst mußte der Krieg vorbei sein. Zu Hause würde sie wieder Frieden und Ruhe und Sicherheit um sich haben, und sie würde das alles ein zweites Mal gewiß nicht wieder freiwillig dahingehen. Irgendwo in einer Ecke ihres Kopfes flüsterte eine leise, aber unüberhörbare Stimme: »Und John?«
»Sei still!« sagte Garnet. »Ich will nach Hause. Sonst nichts. Nur nach Hause!«
Sie legte den ledernen Gürtel mit dem Colt-Revolver an und ging an die Arbeit.
Die Bartätigkeit war sehr viel schwieriger und anstrengender als im vergangenen Herbst; die Zahl der regelmäßigen und unregelmäßigen Besucher war erheblich gestiegen, und das Lokal war länger geöffnet als damals. Garnet fühlte sich alles andere als wohl in dem verqualmten, dunstigen, vom Alkoholdunst geschwängerten Raum; es war ihr widerwärtig, sich von irgendwelchen fremden Männern streicheln und betätscheln zu lassen und immer wieder höchst eindeutige Anträge zurückweisen zu müssen. Natürlich benahmen sich nicht alle Männer in dieser Weise, aber zuweilen fand sie, die ›anständigen‹ Gäste seien noch schwerer zu ertragen. Denn die hatten mitunter eine Art, ihre Tätigkeit zu kritisieren, die sie noch mehr aufregte. Jeden Tag konnte sie das hören: »Wie kommen Sie eigentlich hierher? – Sie sollten hier nicht stehen – das ist keine Tätigkeit für Sie!« Und immer hörte sich das an wie ein Vorwurf; als hätte sie sich diese Art Arbeit extra ausgesucht und verrichtete sie aus reinem Vergnügen. Manchmal passierte es ihr spät in der Nacht, wenn sie sich vor Müdigkeit und Widerwillen kaum noch aufrecht hielt, daß sie auf solche und ähnliche Bemerkungen schnippische und abweisende Antworten gab; aber das geschah nicht oft, und meistens genügte ein warnender Blick von Florinda, und sie besann sich wieder auf ihre freiwillig übernommene Pflicht. Wenn die Bar dann geschlossen war, pflegte Florinda zu sagen: »Es hilft alles nichts, Garnet, du mußt dir klarmachen, wozu wir hier sind. Die Männer kommen hierher, um ihren Spaß zu haben. Und wir beide, du und ich, sind ein Teil dieses Spaßes. Schnaps eingießen kann jedes alte Weib.« Dann lächelte sie, Verzeihung erbittend. »Ich weiß«, sagte sie, »ich weiß ja, Florinda. Es tut mir leid. Wenn mir nur das Kreuz nicht so weh täte, und da wird man schließlich mürrisch und kriegt schlechte Laune.«
»Ja, natürlich«, sagte Florinda. Sie selbst wußte nichts von Kreuzschmerzen, sie hatte auch gar keine Zeit, daran zu denken; sie hatte viel zuviel zu lachen und zu flirten. »Was hast du denn nun inzwischen bei Mr. Abbott einzahlen können?« fragte sie.
»Etwa zweihundert Dollar.«
»Na, ist das nicht großartig? Darum lach ruhig mit den Kerlen, und wenn es dir manchmal hochkommt und du hast das Gefühl, du seiest in eine Abfallgrube geraten, dann denke: Sie bezahlen’s dir ja. Jedes Lächeln, das du ihnen schenkst, müssen sie
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