Kalifornische Sinfonie
das gute Stück bei mir habe, passiert mir nichts«, versicherte er. Sein Freund Teufelswanze berichtete umständlich von einem Diggerkampf, den sie unterwegs zu bestehen gehabt hätten. Soldaten des New Yorker Regiments erzählten von einem Sturm, in den sie geraten seien, als sie gerade um Kap Hoorn segelten. Florinda flirtete mit allen zu gleicher Zeit, goß den Männern ihre Drinks ein und paßte genau auf, daß sie das Ausgeschenkte auch richtig bezahlt bekam. Das Licht der über ihr baumelnden Hängelampen warf huschende Schatten auf ihr Gesicht und ließ ihr silbernes Haar wie eine Gloriole aufblitzen.
José sah zu einer Gruppe noch sehr junger Soldaten hinüber, denen die Erzählungen der Santa-Fé-Händler offenbar zu viel Respekt abnötigten, als daß sie gewagt hätten, sich an ihnen vorbei an die Bar zu drängen. Garnet, am anderen Ende der Theke stehend, goß eben zwei Offizieren des New Yorker Regiments ihren Whisky ein. Überall an den Tischen saßen Männer hinter ihren Bechern. Nikolai Grigorievitch lümmelte sich an der Bar herum, schlürfte seinen roten Wein und war offensichtlich mit sich und der Welt zufrieden. »Hübsch warm hier drinnen«, sagte er, Garnet angrinsend, »draußen sehr, sehr kalt.«
Die beiden Offiziere streiften ihn mit leicht spöttischen Blicken und lächelten nachsichtig. Der Russe war für sie, wie für die meisten Menschen, eine Art exotisches Tier, ein amüsanter Barbar. Wahrscheinlich fanden sie, ein Mann von solcher Riesengröße nehme sich in einem Anzug aus gestickter Atlasseide einfach idiotisch aus. »Wollen Sie bitte mein Glas noch einmal füllen«, sagte einer der Offiziere, den Becher hinüberreichend. Garnet wandte sich um, um die Whiskyflasche vom Bord zu nehmen. Im Augenblick, da sie nach der Flasche griff, kam die ihr schon entgegen. Im gleichen Augenblick gab es einen heftigen Ruck im Fußboden; der ganze Raum schien zu schwanken; Garnet hatte das Gefühl, die Wand käme ihr entgegen; sie verspürte einen Stoß, wankte, verlor den Halt unter den Füßen und fiel so hart zu Boden, daß die von dem Anprall zusammengepreßten Zähne schmerzten. Drei Flaschen zersplitterten unmittelbar neben ihr am Boden und bespritzten sie mit Wein und Aguardiente; die Whiskyflasche fiel ihr in den Schoß und rollte dann davon. Sie hörte den Kasten der Bargeldkasse fallen und sah die Münzen auf dem Boden umherrollen. Gleichzeitig krachte, klirrte und polterte es auch an zahllosen anderen Stellen, war doch jeder, der stand oder saß, von dem Stoß zu Boden gerissen worden. Gebrüll und panische Schreckensrufe drangen an ihr Ohr. Dann hörte sie Nikolais Stimme: »Es ist gar nicht schlimm, Leute, passiert hier sehr oft.« Und Florindas Stimme durchdrang den Lärm: »Wenn die Erde noch einmal so wackelt, ziehe ich es vor, auf einem Baum zu wohnen.«
Garnet war ganz konfus. Noch immer schien alles um sie herum zu schwanken und auf sie zuzukommen. Und wenn ich noch tausend solcher Erdstöße erleben sollte, ich werde immer wieder zu Tode erschrecken, dachte sie. Sie hatte das Gefühl, ihr Hintern müsse ein einziger blutunterlaufener Fleck sein und sie werde wochenlang nicht darauf sitzen können. Sich mühsam aufrichtend, klammerte sie sich an der Bartheke fest; es schien dies wunderbarerweise der einzige feststehende Gegenstand in einer schwankenden Welt. Auf dem Fußboden kollerten noch immer Becher und Gläser zwischen Wein-und Schnapspfützen umher. Die Männer standen hier und da schon wieder auf; sie fluchten und schimpften, und viele hatten blutige Hände, weil sie sich an den Glas-und Tonscherben die Finger verletzt hatten. Nikolai Grigorievitch schien seine Beruhigungsrede auch vom Fußboden aus gehalten zu haben, denn er saß immer noch da; gerade schickte er sich an, aufzustehen. Seine blauseidene Mexikanerjacke hatte vorn einen Riß. Tick-Tack und Teufelswanze stützten einen Soldaten, der kaum älter als achtzehn Jahre sein konnte und der offenbar so entsetzt war, daß er noch nicht allein stehen konnte. Sie schüttelten ihn und rieten ihm, sich beizeiten an solche Späße zu gewöhnen. José sammelte die heruntergefallenen, aber nicht zerbrochenen Flaschen zusammen. Florinda hockte hinter der Bartheke auf dem Fußboden und sammelte die verstreuten Geldmünzen ein. Die meisten Soldaten eilten, sobald sie sich erhoben hatten, aus dem Lokal auf die Straße, ihrem Schrecken in lauten Worten Luft machend. Später würden sie vermutlich ihren Enkeln von dem furchtbaren
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