Kalifornische Sinfonie
darüber hinaus fand ich keine Beziehung. Ich hielt mich auch freiwillig von ihnen fern, denn ich hatte Angst vor Intimitäten irgendwelcher Art. Ich hatte immer das Gefühl in mir, für alles bezahlen zu müssen, und ich wollte mir keine Verpflichtungen auferlegen.
Ich half Schiffsladungen von Häuten und Fellen aus Kalifornien löschen. Die Matrosen erzählten mir von den großen Ranchen im Westen; sie meinten, ein junger Amerikaner könne dort leicht einen Landbewilligungsbrief bekommen. Ich glaubte ihren Berichten entnehmen zu können, daß ein einigermaßen geschickter Bursche dort leicht zu Geld kommen könne. Nicht lange danach fand ich einen Job als Gehilfe eines Superkargos an Bord eines Schiffes, das um das Hoorn nach Kalifornien segelte. In Kalifornien angekommen, ging ich zunächst nach Los Angeles und fragte bei Mr. Abbott nach Arbeit. – Er nahm mich an, und ich arbeitete. Ich redete wenig und suchte keine Freundschaften. Und ich fand auch keine, bis ich auf Nikolai stieß. Aber Nikolai hat sich um mich bemüht, nicht ich um ihn. Nachher fand ich es nett, einen Freund zu haben. Aber der Gedanke, Nikolai könne vielleicht nach der Zuneigung eines Menschen gehungert haben, kam mir lange nicht. Aber ich mochte den großen, ungeschlachten Burschen. Als ich dann bald feststellte, wie sehr er an mir hing, war ich einigermaßen überrascht. – Aber ich habe auch mit Nikolai nie über meine eigenen Angelegenheiten und meine Vergangenheit gesprochen. Ich mochte Menschen nicht, die sich beklagten. Ich mußte dabei immer an meine ehrenwerte Tante Edith denken, deren selbstgerechtes Gejammer über meine Verdorbenheit ich nie aus dem Kopf bekam.« John stieß ein knurrendes Lachen aus. »Also«, sagte er, »nun habe ich dir alles erzählt, was ich bisher noch nie einer Menschenseele gesagt habe.
Er hatte monoton und in seiner kurzen, abgehackten Manier gesprochen. Und eben dieser lapidare Ton bewegte Garnet mehr, als es die verzweifeltste Anklage vermocht hätte. Außerdem hörte sie weit mehr, als er sagte. Sie vernahm zwischen den nüchternen Sätzen das bittere und trotzige Weinen eines kleinen Jungen, der nicht begreifen konnte, warum niemand ihn liebte. Und sie spürte hinter seiner ruhigen Stimme den Panzer der Kälte und Gleichgültigkeit, den er sich anerzogen hatte, um sich vor neuerlichen Angriffen seitens anderer Menschen zu schützen. Sie richtete sich auf, schlang ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: »John, Lieber, ich liebe dich! Fühle doch, wie ich dich liebe!« Ihre Stimme zitterte ein wenig. Und dann fühlte sie beglückt, wie er den gesunden linken Arm um sie legte und sie fest an sich zog. Und zum ersten Male seit schier endloser Zeit fühlte sie sich geborgen.
Sechsundvierzigstes Kapitel
Garnet ritt mit Nikolai Grigorievitch nach Los Angeles zurück. Nikolai verweilte einen Tag in Silkys Haus und ritt dann wieder nach Santa Barbara. Schon nach kurzer Zeit war er indessen wieder da und brachte einen Zettel von John, den dieser wieder mit der linken Hand geschrieben hatte. Der Zettel enthielt nur die kurze Mitteilung, er breche jetzt mit dem Schiff nach San Franzisko auf und werde sobald als irgend möglich zurückkommen. Dann würden sie heiraten. Garnet arbeitete wieder an der Bar. Florinda hatte zwar gesagt, das sei nicht nötig; aber Garnet sah selbst, wie nötig es war. Der Santa-Fé-Treck war wieder da, und das Lokal war vom Morgen bis zum Abend voller Gäste. Garnet freute sich, die alten Bekannten unter den Santa-Fé-Händlern wiederzusehen. Im vergangenen Winter hatten sie sie nicht zu Gesicht bekommen, denn als sie eintrafen, hatte sie mit Florinda bei Doña Manuela geweilt. Etwas unangenehm berührt war sie, als sie Penrose entdeckte. Sie hatte ihn inzwischen völlig vergessen. Aber er war wieder da, und er stierte Florinda unentwegt mit gierigen Augen an. Wenn sie ihm doch sagen wollte, wie schäbig er sich benommen hat, als er sie damals halbtot auf Don Antonios Ranch zurückließ! dachte sie. Aber Florinda tat nichts dergleichen. Sie sah über Mr. Penrose hinweg. Wenn er sie anredete, machte sie nur eine kurz abwehrende Handbewegung: »Lassen Sie mich in Ruhe. Sie sehen doch, ich habe zu tun.«
Im übrigen schien sie keinerlei Ressentiments gegen ihn zu hegen. Als Garnet sie daraufhin ansprach, sagte sie es auch. »Ich bin ja schließlich nicht Penroses wegen mit dem Treck gezogen«, erklärte sie. »Ich wollte unter allen Umständen nach Kalifornien, und also brauchte
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