Kalifornische Sinfonie
schläft. Sie hat – wie soll ich sagen? – ein unkompliziertes Gemüt. Aber Sie haben das nicht. Sie bewegen etwas in Ihrem Kopf, und deshalb ist es nicht gut, Sie jetzt allein zu lassen.«
»Sie neunmalkluger großer Affe!« kicherte Florinda. Aber sie schenkte ihm nun einen kleinen liebevollen Blick.
»Es ist kalt hier«, stellte Nikolai fest, »ich denke, wir gehen noch ein bißchen nach unten in die Küche. Sie sind auch ganz kalt. Ich sehe das. Und ich werde mit Ihnen bleiben in der Küche, bis Sie wieder warm sind.«
Florinda runzelte ein wenig die Stirn. Aber es hatte schließlich wirklich keinen Sinn, hier stehenzubleiben; es war tatsächlich kalt, und es war nicht anzunehmen, daß Nikolai Grigorievitch sich so leicht abweisen lassen würde. »Na schön«, sagte sie deshalb, »gehen wir noch einen Augenblick in die Küche hinunter.«
Der Russe reichte ihr grinsend den Leuchter und folgte der Vorangehenden die Treppen hinab. Unten setzte Florinda sich auf die Wandbank, und Nikolai stocherte im Herdfeuer herum und legte Holz nach. Florinda sah die Flamme aufzüngeln, zuckte zusammen und starrte zu Boden. Nikolai kam mit seinen langen Schritten zu ihr herüber, sah sie liebevoll an und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Florinda!« sagte er mit weicher Stimme. Sie sah nicht auf.
»Florinda«, sagte Nikolai, und nun ging er unmittelbar zum Du über; es war, als spräche er zu einem trotzigen Kind, »du brauchst mir nicht zu erklären, warum dich das Feuer vorhin so erschreckte. Aber vielleicht – es wäre besser, du würdest es mir sagen. Es ist nicht gut, hineinzufressen, was quält.«
Florinda begann plötzlich zu zittern; sie schüttelte sich förmlich, und ihre Zähne schlugen wie im Frost aufeinander.
»Du wirst immer sehen müssen deine Hände«, sagte Nikolai, »du kannst ja nicht anders. Wirst sie müssen sehen dein Leben lang.« Florinda starrte ihn an; sie atmete schwer.
»Du wirst tragen Handschuhe wie bisher«, fuhr der Russe fort, »und die Handschuhe werden verbergen deine Narben vor anderen Menschen. Aber sie werden sie nicht verbergen vor dir selbst.«
»Verdammter Kerl!« schrie Florinda, wie in aufbrechender Panik, »verdammter Kerl!« Sie riß ihre Schulter unter seiner Hand los und maß ihn mit einem sonderbaren Blick. »Schön«, sagte sie, zu Boden blickend, »ich werde es dir erzählen, was ich noch keinem erzählte.« Sie atmete schwer. »Mein Kind ist verbrannt«, stieß sie heraus, »mein kleines Mädchen. Es hieß Arabella.«
Der Russe starrte sie an. Sie hatte ein Kind gehabt!
»Vielleicht begreifst du nun meinen panischen Schrecken«, sagte Florinda; sie sprach kurz und abgehackt, stieß die Sätze förmlich heraus. »Als die Flamme mein Kleid ergriff, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich sah wieder das Bild vor mir. Und so kam es wohl, daß ich schrie. Nun weißt du es also.«
Nikolai Grigorievitch antwortete nicht gleich. Als er schließlich sprach, schwang warmes Mitgefühl in seiner weichen, etwas singenden Stimme:
»Ich begreife. Entsetzlich! Welch ein furchtbares Unglück!«
Florinda verkrampfte die Hände. Sie ballten sich zu Fäusten, und die Narben traten blutrot hervor. »Unglück!« stieß sie zwischen den Zähnen hervor, »Mord war es, glatter Mord!«
Nikolai griff nach den zuckenden Fäusten, löste sie und ergriff ihre Hände. Sie hob mit einer sonderbar scheuen Gebärde die Augen, in denen jetzt ein unruhiges Glimmen war. Es schienen die Augen eines Kindes, das unvorstellbare Qualen erduldet hatte. Dicht neben ihr sitzend hielt er ihre Hände fest.
»Eine betrunkene Bestie hat das Kind ermordet«, raunte Florinda. »Und diese Bestie war mein Mann. Ich hatte ihn geheiratet, weil er mir goldene Berge versprochen hatte. Und ich glaubte damals, einen Menschen zu brauchen. Es war schwer für mich mit dem Kind. Ich trat im ›Schmuckkasten‹ auf; das war ein Varietétheater in New York. Ich verdiente einen Haufen Geld, aber ich hatte immer Angst um Arabella. Ich fragte mich, was aus dem Kind werden sollte, wenn ich einmal stürbe. Es konnte mir etwas zustoßen; meine Mutter ist auch jung einem Unfall zum Opfer gefallen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß meine Tochter es einmal ebenso schwer haben sollte wie ich. Ich habe meine Kindheit in einer verkommenen Hütte mit zerbrochenen Fenstern verlebt, und ich habe mit acht Jahren auftreten und Geld verdienen müssen. Arabellas Vater kümmerte sich nicht um sie; er hat sie nie gesehen,
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