Kalifornische Sinfonie
meiner Gegenwart jedenfalls –; sie konnte nichts weiter sagen. Sie hätte lachen mögen, aber sie konnte es auch nicht. Ihr war gleichzeitig nach Weinen zumute, aber es ging ebensowenig. Sie saßen beide auf dem Fußboden nebeneinander und starrten sich an.
Garnet dachte zurück. Henry Trellen hatte sich in ihrer Gesellschaft nicht frei zu geben vermocht, weil er Mädchen wie Florinda brauchte. Wahrscheinlich hatte er immer Angst, sie könnte ihm einen schlechten Geschmack zutrauen, und in der Folge könnte seine Mutter dann seinen Geschmack gleichfalls verdächtigen, diese Mutter, die aussah wie der Marmorengel eines Grabmonuments. Nun, offensichtlich war die Mutter auch ohnedies hinter seinen besonderen Geschmack gekommen und hatte nun alles getan, um ihn von Florinda zu lösen. Um das zu bewerkstelligen, hatte sie die hübsche und kluge Miß Cameron ausgewählt, und der brave Sohn hatte widerstandslos gehorcht.
Auch Florinda dachte an Henry Trellen zurück. Sie dachte an den erbarmungswürdigen Anblick, den er geboten hatte, als sie ihm erzählte, was mit dem Kinde geschehen war, das er nie gesehen hatte. Sie dachte daran, wie leid er ihr getan hatte.
Florinda tat Henry immer noch leid, der arme Henry, der eigentlich niemals darauf ausgegangen war, etwas Böses zu tun, der aber auch nie den Mut aufgebracht hatte, gut zu sein. Der arme Henry, der durch das Leben gehen und Geld ausgeben würde, das er nicht verdient hatte, und der immer nur sehr wenig Freude für sein Geld haben würde. Florinda hatte nichts dagegen einzuwenden, daß Männer ihr Geld durchbrachten, am wenigsten, wenn sie es mit ihr durchbrachten. Indessen, wenn sie auch keine Achtung für Henry Trellen hatte, so hatte sie doch allerhand Achtung vor seinem Reichtum, und sie begriff nicht, daß Garnet für diesen Reichtum offenbar nicht den geringsten Respekt aufbrachte. Die Tatsache nötigte ihr so viel Bewunderung ab, daß sie minutenlang sprachlos war. »Garnet«, sagte sie schließlich, »wie alt warst du damals?«
»Achtzehn«, versetzte Garnet, »beinahe neunzehn. Warum?«
»Und da warst du bereits so klug? Garnet, ich möchte dir etwas sagen. Ich werde nie wieder ein Wort darüber verlieren, daß du John Ives heiraten willst. Du bist klug genug, um alles zu tun, was du willst.«
»Danke«, sagte Garnet und unterdrückte mühsam ein Kichern.
Florinda nahm den Ring mit dem Aquamarin auf und betrachtete ihn: »Was fangen wir nun damit an? Willst du ihn haben?«
»O nein«, wehrte Garnet ab, »ich will ihn nicht.«
»So werden wir ihn eben aufheben«, versetzte Florinda, »eines Tages werden wir jemand finden, dem wir ihn schenken können.«
Dagegen hatte Garnet nichts einzuwenden.
Sie hatte nicht viel Schwierigkeiten, einen New Yorker unter den Soldaten zu finden, der Henry Trellen dem Namen nach kannte. Der Name Trellen war ja auch in ganz New York bekannt. Ein junger Sergeant erinnerte sich an ihn. Er hatte ihn zwar nicht persönlich kennengelernt, aber er hatte einen Onkel, der mit dem Hause Trellen Geschäfte tätigte. Soviel er wußte, lebte Henry noch immer in der Bleecker Street. Als der Sergeant New York verließ, war er noch unverheiratet gewesen. Auf Garnets Fragen, was er tue, zuckte der Boy die Achseln: Nichts, seines Wissens. Er habe noch nie etwas getan, habe es ja auch nicht nötig. Florinda lächelte spöttisch, als Garnet ihr das Ergebnis ihrer Erkundigungen berichtete. »Schön«, versetzte sie gleichmütig, »wieder etwas, das ich aus meiner Erinnerung ausradieren kann.«
Am Abend kam Nikolai Grigorievitch und erklärte, dies sei sein letzter Abend in Los Angeles. Am nächsten Morgen müsse er nach San Franzisko reiten und an Bord des ausfahrtbereiten Schiffes gehen.
Garnet hatte sich bis zu diesem Augenblick, da es Ernst wurde, nie vergegenwärtigt, wie lieb der Russe ihr inzwischen geworden war. »Können Sie wirklich nicht warten, bis John kommt?« fragte sie.
Nikolai schüttelte trübselig den Kopf. »Ich kann auf gar nichts mehr warten, Garnet«, antwortete er, »wenn ich morgen früh nicht reite, fährt das Schiff ohne mich ab.«
Nachdem sie das Lokal geschlossen hatten, kam Nikolai mit den Mädchen in die Küche. Während Micky diesen ihre Abendschokolade brachte, öffnete Nikolai ein Bündel und kramte seine Abschiedsgeschenke heraus. Für Isabel hatte er ein Halsband aus Kunstperlen, für Silky ein Paar gestickter Lederhandschuhe und für Stephen ein hölzernes Pferdchen auf Rädern. Er lieferte den
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