Kalifornische Sinfonie
Mädchen die Geschenke ab, denn Isabel war schon nach Hause gegangen, Silky weilte bei irgendeinem liebenswürdigen Mädchen und Stephen schlief bereits oben in seinem Bettchen. Micky zog die Filzschuhe, die Nikolai ihm mitgebracht hatte, gleich an und lächelte dankbar sein höfliches Lächeln, und Nikolai holte die Geschenke für Garnet und Florinda heraus. Er brachte beiden eine schlichte goldene Brosche. »Es sollte etwas sein, was ihr jeden Tag tragen könnt«, sagte er, »damit ihr jeden Tag an mich erinnert werdet.« Plötzlich, Nikolai hielt die Hände beider Mädchen in seinen großen Pranken und drückte sie, ertönte von draußen ein Ruf:
»Garnet – Micky – Florinda – wer gerade da ist, laßt mich rein!«
Garnet war schon beim ersten Laut aufgesprungen. Die goldene Nadel fiel klirrend auf den Tisch; Florinda rettete sie davor, hinunterzufallen. Sie kannte die Stimme da draußen ebenso gut wie Garnet. Und auch Nikolai kannte sie gut. Es war John, der da vor der Tür stand und um Einlaß bat.
Garnet war schon bei der Tür und stieß den Riegel zurück. Die Tür schwang nach innen auf, und John erschien in ihrem Rahmen. John mit einem verwilderten Bart, mit schlammüberkrusteten Kleidern und von oben bis unten mit Staub bedeckt. Hinter ihm waren in der Dunkelheit seine Boys Pablo und Vicente und seine Pferde gerade noch sichtbar. Er streckte beide Arme aus und zog Garnet an seine Brust.
»Ich glaube, wir zwei verschwinden jetzt und lassen die beiden allein«, flüsterte Florinda Nikolai zu.
»Wieso?« versetzte Nikolai, »sorge lieber dafür, daß etwas zu essen bereit ist. John wird Garnet zwei Minuten lang küssen und dann wird er sagen, er habe während des ganzen Tages nichts außer einem bißchen kalter Pinole gegessen.«
»Du hast niedrige Instinkte«, stellte Florinda fest, »aber wahrscheinlich hast du trotzdem recht. Micky, sorge dafür, daß wir die Gesellschaft abfüttern können.«
John und Garnet kamen jetzt heran. Garnets Wangen waren tiefrot; Johns Bart schien ihr die Haut abgekratzt zu haben; Tränen liefen ihr aus den Augen. John, der sie mit einem Arm umschlungen hielt, grinste. Sein Gesicht zeigte eine so offene Freude, wie Nikolai und Florinda sie hier nie zu sehen erwartet hatten. Er schüttelte dem Russen die Hand, zog Florinda an sich und küßte sie auf die Wange. Florinda kreischte, sie sei nicht gewöhnt, von einer Drahtbürste geküßt zu werden. John reckte sich und sagte: »Wie ist es, Florinda, kannst du uns durchfüttern?«
Florinda sah Nikolai an, und beide brachen in lautes Gelächter aus. Nikolai sagte, er wolle helfen, das Abendessen zu besorgen, und Florinda ging hinaus, um Wein für die Boys und eine Flasche Whisky für John zu holen. »Auf Kosten des Hauses!« sagte sie, als sie die Flasche vor ihn hinstellte; »obgleich Sie dreckiger Strolch das wahrhaftig nicht verdient haben. Setz dich zu ihm, Garnet, ich kümmere mich jetzt um das Essen, damit ihr Zeit habt, euch anzustarren.«
Garnet war noch zu erregt, um viel sprechen zu können. »O John«, flüsterte sie, »wo, um alles in der Welt, hast du gesteckt?« Er hatte einen Arm um ihre Taille geschlungen und lächelte sie an; ihre Frage schien er gar nicht gehört zu haben. »Du bist völlig wiederhergestellt?« fragte Garnet. »Es sieht so aus, wie du die Flasche mit der rechten Hand hältst.«
»Es ist mir nie im Leben so gut gegangen«, sagte John, »und ich habe mich nie so müde gefühlt, nie so dreckig und unrasiert und nie so verdammt glücklich. Und ich habe dich noch nie so schön gesehen wie heute abend.« Er hob seinen Becher und trank ihr zu, und sie suchte in seinen Augen zu lesen. Sie las darin, daß er sie schön fand, und sie wußte doch, daß sie in diesem Augenblick keinem anderen als schön erschienen wäre. Das war am Schluß eines Arbeitstages nicht gut möglich. Ihr Haar war strähnig und zerzaust, ihr Kleid verdrückt und voller Alkoholflecken, und sie roch, als hätte man mit ihr die Bar aufgewischt. Aber es war ihr in diesem Augenblick ganz gleichgültig, wie sie aussah. »John«, flüsterte sie, »habe ich heute zum letztenmal an der Bar gestanden?«
Er lachte und preßte sie an sich. »Das hast du«, sagte er, »morgen früh gehe ich zum Alkalden und frage ihn, wann wir heiraten können. Und dann« – es blitzte in seinen Augen – »o Garnet, ich stecke so voller Neuigkeiten!«
Sie sah ihn mit steigender Verwunderung an. Wie sprach der denn? Sie erinnerte sich nicht, ihn
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