Kalifornische Sinfonie
nicht Ihre Schuld.«
»In gewissem Sinne natürlich doch. Ich hätte mich eben aus all solchen Verwicklungen heraushalten sollen.«
Sie machte jetzt ein so trauriges Gesicht, daß Garnet nach etwas suchte, was ihre Gedanken ablenken könnte. »Hören Sie, Florinda«, sagte sie schließlich resolut, »nun sitzen Sie nicht hier herum und blasen Trübsal, während wir weg sind. Sie können Ihre Briefe schreiben – dort liegt ein Federhalter; Tinte ist auch da, und Papier und Siegellack sind in der Tischschublade. Und dann habe ich auch ein paar gute Bücher.« Sie ergriff einen Band mit dem Titel ›Zwei Jahre vor dem Mast‹, das sie gekauft hatte, weil es von einer Reise nach Kalifornien erzählte.
Florinda nahm das Buch und drehte es in den Händen; sie besah den Einband und schlug es aufs Geratewohl auf. Die Art, wie sie mit dem Buch umging, ließ unschwer darauf schließen, daß dies eine ihr höchst ungewohnte Beschäftigung sei.
»Florinda«, sagte Garnet, »haben Sie noch nie ein Buch gelesen?«
Florinda suchte sich zu erinnern. Sie lächelte. »Wenn Sie darunter verstehen, daß man bei Seite eins anfängt und es hintereinander bis zum Schluß durchließt, dann glaube ich allerdings, daß ich das noch nie getan habe«, sagte sie.
Garnet wußte nicht, was sie darauf antworten sollte; sie wollte Florinda ja auch nicht weh tun. Deshalb wechselte sie das Thema. Sie sagte: »Wenn Sie Hunger verspüren – im Wohnzimmer nebenan steht eine Schale mit Obst. Bedienen Sie sich bitte.« Florinda antwortete nicht, und Garnet war froh, daß Oliver in diesem Augenblick zurückkam.
»Heute abend fährt ein Schiff nach St. Louis«, sagte er. »Es hält in Natchez, Vicksbury und einigen anderen Städten, die am Wege liegen.«
»Wundervoll!« Florinda atmete auf. »Das ist genau das, was ich brauche. Ich werde eine Luxuskabine nehmen, und zwar bis St. Louis. Sollte es nötig werden, kann ich ja immer schon früher aussteigen.«
»Wollen Sie auf den Namen Florinda Grove fahren?«
Sie hatte nichts dagegen einzuwenden. Oliver meinte trocken, der Name sei ja auch schon deshalb zu empfehlen, weil sie ihn bis zum vergangenen Abend noch nie gebraucht habe. Er meinte das ganz ernst und stand durchaus zu dem, was er Garnet unlängst erst über das Führen falscher Namen gesagt hatte. Es war jedes Menschen eigene Angelegenheit, unter welchem Namen er zu leben wünschte. Er sagte, zu Garnet gewandt: »Ich habe die Kutsche unten warten lassen; wir können also gleich fahren, um zu besorgen, was nötig ist.«
»Bitte einen Augenblick noch«, rief Florinda. »Oliver, sehen Sie mal eben zum Fenster hinaus.«
»Was wollen Sie denn?«
»Ich möchte Ihnen keine Unkosten verursachen. Ich sagte Ihnen ja schon, ich habe mein Geld immer bei mir. Unter meinen Röcken nämlich.«
»Aber das ist nicht nötig«, entgegnete er. »Sie werden Ihr Geld noch brauchen. Mir macht das nicht viel aus; ich klebe nicht am Geld.«
»Sie sind doch kein Wohlfahrtsunternehmer«, lachte Florinda. »Ich habe eine ziemliche Menge Geld verdient. Bitte, gehen Sie ans Fenster, Oliver, und besehen Sie sich die Straße.«
Er zuckte die Achseln und trat an das Fenster. Florinda winkte Garnet heran, setzte einen Fuß auf den Stuhl und hob ihre Röcke. Sie trug seidene Strumpfbänder mit Rosenblüten und goldenen Ranken. Ihre Unterwäsche war aus feinstem Musselin. Mein Gott! dachte Garnet, da sie es sah, wer weiß, wieviel von dieser kostbaren Wäsche noch in ihrem Zimmer liegt. Florinda löste eine Leinwandgeldbörse, die sie an ihrem Korsett befestigt hatte, nahm ein Päckchen Banknoten heraus und steckte sie wieder fest. Sie nahm den Fuß vom Stuhl und schüttelte ihre Kleider zurecht. »Hier, Garnet«, sagte sie, »wenn es nicht ausreicht, laßt es mich wissen.«
Garnet nahm die Banknoten, und Oliver drehte sich um. Florinda seufzte. »Ihr seid wahrhaftig die nettesten Leute, die mir jemals begegnet sind«, sagte sie. »Ich liebe euch alle beide.« Sie warf ihnen Kußhände nach, als sie das Zimmer verließen, um die Besorgungen zu erledigen.
Florinda hatte Garnet hundertzehn Dollar gegeben. Oliver meinte, das würde wohl kaum reichen, aber sie kamen überein, ihr zu sagen, es sei genug gewesen. Während Garnet die Kleider und alle sonstigen Toilettenartikel kaufte, wollte Oliver die Schiffskarte und ein paar Handkoffer und Reisetaschen besorgen. Er sagte, er würde Karte und Gepäckstücke bei Florinda hinterlassen; dann müsse er hinunter zum Warenlager,
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