Kalix - Die Werwölfin von London
auf ihr schmales Bett und starrte an die Decke.
Sie versuchte sich darüber klar zu werden, wie sie sich fühlte. Besser, dachte sie.
Nach acht Tagen in diesem Haus hatte sie sich bereits daran gewöhnt, es warm und sauber zu haben, und genoss es. Es kam ihr immer noch komisch vor, mit Menschen zusammenzuwohnen, aber ihr Misstrauen ihnen gegenüber nahm langsam ab, wenn es auch noch nicht ganz verschwunden war. Kalix fiel es immer noch schwer zu glauben, jemand könne ihr ohne Hintergedanken helfen.
203
Sie dachte an Gawain und wurde traurig. Sie wusste, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Ihr Leben wäre sinnlos, egal, was geschah. Sie holte ihr Tagebuch heraus und schrieb das auf. Mein Leben ist sinnlos. Als sie ihr Tagebuch wieder in die Tasche steckte, bemerkte sie ihr Messer und überlegte, ob sie sich schneiden sollte. Das tat sie sonst immer, wenn sie dachte, ihr Leben habe keinen Sinn. Sie spielte eine Zeit lang mit dem Gedanken, während die Runaways und Transvision Vamp vor sich hinsangen. Als sie die Idee schließlich für gut befand, nahm sie das Messer aus der Tasche, setzte einen langen Schnitt und sah zu, wie ihr Arm blutete.
Kalix hörte, wie die Eingangstür geöffnet wurde. Das war Moonglow, die laut die Treppe heraufpolterte.
»Kalix? Bist du da?«
Als Moonglow ins Zimmer kam, steckte Kalix schnell den Arm unter die Decke.
»Rate mal, was bei der Party passiert ist.«
Offensichtlich litt - oder erfreute sich - Moonglow an den Auswirkungen von Alkohol. Kalix war überrascht. Moonglow setzte sich auf ihre Bettkante.
»Ein total hübsches Mädchen hat Daniel angegraben.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass diese Schönheit, die keiner kennt, einfach auf Daniel zugegangen ist und ihn gefragt hat, ob er tanzen will! Sie war richtig hübsch. Sie hatte einen seltsamen Akzent. Und sie hat so komischen grünen Lidschatten getragen, aber sie war echt schön. Sie hat Daniel gar nicht mehr in Ruhe gelassen, sie hat ihn praktisch auf die Tanzfläche gezerrt und nachher in die Küche, um etwas zu trinken, und alle waren, na ja, ganz baff, weil das ja immerhin Daniel war, und da schmeißt sich einfach so ein Mädchen an ihn ran.«
Kalix war erstaunt darüber, dass Moonglow auf ihrer Bettkante saß und mit ihr tratschte. So etwas kannte sie gar nicht.
»Deshalb habe ich die beiden allein gelassen«, erzählte Moon 30S
glow begeistert. »Ich habe ein Taxi genommen, ohne Daniel zu fragen, ob er auch gehen will, weil er bestimmt nicht will, dass sich ein anderes Mädchen einmischt, wenn sich gerade was anbahnt. Was ist das für ein Fleck?«
Erschrocken starrte Moonglow auf Kalix' Decke, die langsam rot wurde.
»Das ist nichts«, sagte Kalix rasch.
»Was ist das?«, wollte Moonglow wissen. Sie streckte die Hand aus, um die Decke zurückzuziehen. Kalix hielt sie sofort davon ab. Sie knurrte. Moonglow sah Kalix fest in die Augen.
»Lass mich das sehen«, verlangte sie.
Kalix machte eine finstere Miene, aber sie ließ Moonglows Hand los. Moonglow schlug die Decke zurück. Aus dem langen Schnitt in Kalix' Arm sickerte Blut.
»Hast du das gemacht?«, fragte Moonglow.
»Ja«, antwortete Kalix trotzig. »Und?«
Moonglow seufzte.
»Das solltest du wirklich nicht tun«, sagte sie. Und weil sie die Sache nicht aufbauschen wollte, schlug sie Kalix vor, ins Bad zu gehen und die Wunde zu behandeln.
98
Malveria ließ sich durch die äußeren Sphären der Welt treiben. Sie schwebte über den Dächern Londons, ohne ganz in die Dimension der Menschen einzutauchen. Als sie Alan Zateks Geschäftsräume in der Constitution Street, nicht weit von Thrix' eigener Niederlassung, fand, glitt sie hinunter durch das Dach und nahm lautlos in einem Lagerraum im obersten Stock Gestalt an. Sie hatte sich sehr sorgfältig mit Magie getarnt und konnte nicht 204
entdeckt werden. Die Sicherheitskameras auf den Fluren würden sie nicht sehen. Malveria suchte nach Zateks Büro. Dort wollte sie seine Akten durchsehen. Und vielleicht seinen Computer, obwohl das ein Problem sein konnte. Malveria konnte auf einem Computer nicht suchen. Falls allerdings CD-ROMs herumlagen, konnte Malveria sie stehlen und der Zauberin geben. Sie zögerte. Aus einem Zimmer in der Nähe kamen Stimmen.
»Sie sind wie geschaffen für dieses Kleid.«
Da sprach jemand über Kleider. Malveria verstärkte ihre Tarnzauber und schlüpfte in das Zimmer.
»Ich bin die Königin der Spione«, dachte Malveria zufrieden. Sobald sie den Raum betreten hatte,
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