Kalix - Die Werwölfin von London
konnte sich kaum noch daran erinnern, wann sie zum letzten Mal jemanden getötet hatte. Das war sicher mehr als dreißig Jahre her.
Verasa und ihr jüngerer Sohn Markus saßen nebeneinander auf einem vergoldeten Kanapee und nippten Wein aus silbernen Kelchen. Für Mutter und Sohn standen sie sich sehr nahe. Vielleicht zu nah nach menschlichen Maßstäben, wenn auch nicht unbedingt nach den Regeln der Werwolfgesellschaft.
»Arme Kalix«, seufzte die Herrin der Werwölfe. »Wie konnte sie in gerade mal siebzehn Jahren ihr Leben derart verpfuschen?«
»Ich fand es schon immer unklug, mit zweihundertdreißig noch ein Kind zu bekommen«, sagte Markus.
»Ich war sogar noch etwas älter. Aber das war die Idee deines Vaters, mein Lieber. Er wollte noch ein Kind. Damals hatte er gerade zugestimmt, meiner Seite der Familie die Ländereien in Argyll zu überlassen, deswegen wollte ich keinen Streit anfangen. Im Rückblick war es vielleicht wirklich unklug. Kalix war eine schreckliche Last.«
»Wir müssen sie vor Sarapen finden.«
Als sie den Namen ihres ältesten Sohnes hörte, runzelte die Herrin der Werwölfe die Stirn.
»Ich begreife nicht, warum dein Vater ihn so vorzieht.«
24
»Das war schon immer so«, sagte Markus beinahe gehässig. »Wirklich bedauerlich. Du warst als Sohn immer viel netter. Noch Wein?«
Markus nahm den Kelch entgegen.
»Die Große Mutter Dulupina schreit schon nach Kalbe' Blut, seit sie den Fürsten angegriffen hat. Sie wird erst zufrieden sein, wenn jemand Kalix zurück in die Burg bringt.«
Dulupina war die Mutter des Fürsten. Als Herrin der Werwölfe stand Verasa über ihr, aber Dulupina war dem Clan sehr wichtig und konnte nicht einfach ignoriert werden. Sie war alt, ehrwürdig und einflussreich und hatte einen Sitz im Großen Rat inne.
»Wenn Kalix sich doch nur weiter versteckt hätte.«
Kalix war schuldig befunden worden, den Fürsten angegriffen zu haben. Sie war aus der Burg geflohen, als das Urteil noch ausstand. Den Traditionen des Clans zufolge durfte jeder Werwolf sie jetzt töten und ihr Herz zurückbringen. Verasa vermutete, dass Sarapen genau das vorhatte. Sollte Verasa selbst Kalix finden, würde man sie zumindest in die Burg bringen und einsperren, bis eine andere Lösung gefunden war.
»Du solltest sie zurückbringen«, sagte sie zu Markus.
13
Als die zwei furchteinflößenden Fremden in ihr Haus eindrangen, wich Moonglow zurück bis an die Wand. Sie hatte solche Angst, dass sie nicht einmal schreien konnte. Duncan Douglas-MacPhee und seine Schwester Rhona ignorierten sie. Sie gingen direkt auf Kalix zu, und dann folgte eine so brutale Szene, wie sie weder Moonglow noch Daniel je gesehen hatten.
Rhona trug eine Lederweste, die auf ihrer Schulter die Tätowie 25
rung eines zähnefletschenden Wolfs erkennen ließ, und sie war sehr stark. So wie alle Werwölfe, selbst in menschlicher Gestalt. Sie versuchte, Kalix zu packen. Kalix ließ ihren Fuß vorschnellen und versetzte Rhona einen Tritt gegen die Brust, der sie über den Tisch schleuderte. Moonglow hätte einen solchen Tritt für unmöglich gehalten. Er gehörte vielleicht in einen Kung-Fu-Film, aber nicht in ihr Wohnzimmer. Trotzdem wiederholte Kalix ihn sofort noch einmal und ließ Duncan rückwärts gegen Moonglows sorgfältig geparkte Kartons mit Tellern segeln, die mit lautem Geschepper zu Boden krachten.
Rhona stand sofort wieder auf und stürzte sich auf Kalix. Kalix wirbelte herum, aber sie war nicht schnell genug. Rhona hämmerte der jungen Werwölfin ihre Faust gegen den Kopf, dass diese zurücktaumelte. Duncan hatte sich erholt und konnte Kalix packen. Sie prallten gegen den Tisch und warfen Kalix' Tasche herunter. Sie landete neben Daniel, der wie Moonglow vor der Gewalt zu-rückgewichen war. Kalix biss ihren Angreifer ins Handgelenk und zwang ihn so, sie loszulassen. Sofort befreite sie sich aus seinem Griff. Dann rammte sie ihm brutal die Stirn ins Gesicht. Er torkelte zurück, Blut spritzte aus seiner Nase.
Rhona ging zum Angriff über, aber bevor sie einen Treffer landen konnte, erwischte Kalix sie mit der offenen Hand am Hals. Rhona fiel zu Boden wie von einer Kugel getroffen.
Einen kurzen Moment lang sackte Kalix in sich zusammen. Ihre Kraft ließ rapide nach. Sie versuchte, sich zusammenzureißen, aber es war zu spät. Die Douglas-MacPhees waren eine zähe Bande, und von einer blutigen Nase ließ Duncan sich nicht aufhalten. Er stellte sich hinter Kalix und rammte ihr seinen Unterarm gegen
Weitere Kostenlose Bücher