Kalix - Die Werwölfin von London
ihres Gegners war besonders brutal gewesen.
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»Ich hoffe wirklich, mir laufen nicht noch mehr Werwölfe über den Weg.«
»Ein Glück, dass wir heute Abend ausziehen.« »Lassen wir sie hierbleiben?«, fragte Daniel. »Natürlich. Wir können sie doch nicht rauswerfen«, antwortete Moonglow.
Moonglow hatte so ein großes Herz. Das gehörte zu den Dingen, die Daniel an ihr mochte. Das und ihr hübsches Gesicht, ihr langes, schwarzes Haar und das ausgesprochen reizvolle Nasenpiercing. Ihr Gesichtsschmuck war deutlich diskreter als Kalix' großer Nasenring. Daniel stimmte Moonglow bei den meisten Sachen zwar gerne zu, aber es machte ihn doch nervös, einen wilden Werwolf auf seinem Lieblingsstuhl schlafen zu sehen.
»Vielleicht wäre es am besten, wenn wir .. du weißt schon .. sie zum Gehen ermuntern.«
»Mit Sicherheit nicht.« Moonglow war entrüstet. »Stell dir vor, du wärst ein obdachloser junger Werwolf, und andere Werwölfe würden versuchen, dich zu töten. Wie würde dir das gefallen?«
»Wahrscheinlich würde ich anfangen, Diazepam zu nehmen.«
»Das finde ich immer noch komisch«, sagte Moonglow. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal ein übernatürliches Wesen treffen würde, das sich wegen Depressionen behandeln lässt.«
»Und woher bekommt sie die Tabletten?«, überlegte Daniel. »Glaubst du, es gibt Psychiater für Werwölfe?«
Darüber grübelte Daniel eine Weile lang nach, dann fragte er sich, warum er über Werwölfe redete, als wären sie etwas Alltägliches. Wieder murmelte Kalix etwas im Schlaf, dieses Mal etwas lauter.
»Gawain ... verbannt ...«
Damit wachte sie auf und sah die beiden misstrauisch an. Ohne ein Wort sprang sie aus dem Sessel auf und lief Richtung Tür.
»Du musst doch nicht gehen -«, sagte Moonglow und streckte ihr freundlich die Hand entgegen. Kalix knurrte sie grimmig an. Erschrocken machte Moonglow einen Schritt zurück. Kalix ging.
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»Sie braucht wohl viel Freiraum«, sagte Daniel. »Ist wahrscheinlich so ein Werwolfding.«
Moonglow sah durch das Fenster in den Regen und hoffte, die Werwölfin würde es sich anders überlegen und zurückkommen, aber sie war nirgends zu sehen.
Schließlich packten sie weiter ihre Sachen ein.
Kalix verbrachte die restliche Nacht in einer Gasse, kalt und nass. Während die Minuten langsam verstrichen, verfiel sie in tiefe Traurigkeit. Die Depression, mit der sie immer zu kämpfen hatte, überwältigte sie. Kalix nippte an ihrem Laudanum. Ihr Vorrat war fast aufgebraucht, und sie hatte nicht genug Geld, um Nachschub zu kaufen.
Das Laudanum linderte den Schmerz in ihrem Körper, aber es reichte nicht, um ihr die seelischen Qualen zu nehmen. Sie schluckte noch ein Diazepam. Auch das war nicht genug. Wie so oft rief die Depression eine schreckliche Angst hervor, die sie hasste. Wenn die Angst richtig groß wurde, fürchtete Kalix immer, sie würde bald wahnsinnig werden. Sobald dieses Gefühl sie packte, schien es, als würde es sie nie wieder loslassen. Als Kalix es schließlich nicht mehr ertragen konnte, holte sie ihr kleines Küchenmesser aus der Tasche. Sie starrte ein paar Sekunden lang ihren Unterarm an, dann schnitt sie sich kurz oberhalb des Ellbogens. Blut floss ihren Arm hinunter. Sofort fühlte Kalix sich ein bisschen besser. Sie wusste nicht genau warum, aber das half immer. Ge-tröstet konnte sie schließlich einschlafen.
Ihr Schlaf war unruhig und voll böser Träume. Schreckliche Bilder von ihrer Familie und schmerzliche Erinnerungen an Gawain plagten sie.
»Ich werde dich immer lieben«, sagte Gawain in ihrem Traum.
Weinend wachte Kalix auf, weil sie wusste, dass es nicht stimmte. Gawain war weit weg, niemand wusste, wo. Der Fürst hatte ihn wegen seiner Beziehung zu seiner Tochter verbannt, wegen einer Beziehung, für die Kalix dem Fürsten viel zu jung war. Nicht,
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dass der Fürst ihnen überhaupt erlaubt hätte, zusammen zu sein. Gawains Herkunft war nicht gut genug, um ihm eine Beziehung mit der Tochter des Fürsten zu erlauben. Er stammte aus einer angesehenen Werwolffamilie, war aber trotzdem nicht reinblütig genug. Gawain besaß eine ganz und gar menschliche Großmutter. Damit war er als Partner für eine junge aristokratische Werwölfin nicht geeignet.
Gawain war stark, unempfindlich gegenüber den Naturgewalten, ein erfahrener Jäger und vollkommen furchtlos. Kalix hatte sich bei ihm immer sicher gefühlt.
Aber hatte er nicht zu schnell eingewilligt, sie zu verlassen? Hatte er laut
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