Kalix - Die Werwölfin von London
war nervös. »Wird es noch mehr Gewalt geben? Ich bin nicht gerade wild darauf -«
»Die kommen nicht zurück«, antwortete Kalix. »Nicht heute Nacht.«
Moonglow war voller Mitgefühl für die junge Werwölfin, klein und dünn, mit zerrissener Kleidung, wahrscheinlich obdachlos und von Killern verfolgt.
»Möchtest du etwas zu essen haben? Fleisch haben wir nicht . . aber Pop-Tarts.«
Wieder schüttelte Kalix den Kopf. Sie schlang die Arme um ihre wenigen Besitztümer und ließ den Kopf hängen. Ohne es zu wollen, schlief sie in einem fremden Haus ein.
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Die Cousinen, von denen die Familie nicht sprach, waren eine ziemliche Schande für die MacRinnalchs. Wahrscheinlich eine Schande für alle Werwölfe.
Beautys Lippenpiercing reichte schon, um ihre Tante Verasa schaudern zu lassen. Und Delicious hatte mit ihren blaugefärbten Haaren die ganze Familie schockiert und war fast von ihrer teuren Privatschule geflogen.
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Beauty und Delicious waren Zwillinge, die einzigen Kinder von Marwis, dem jüngsten Bruder des Fürsten, der vor ein paar Jahren bei einem Flugzeugabsturz gestorben war. Weil Marwis' Frau ebenfalls schon lange tot war, blieben die Zwillinge elternlos zurück. Sie schlugen sich wacker und kamen ein paar Jahre später nach London als aufgekratzte, betrunkene, verwahrloste Junkies, die mit ihren Körpern Schindluder trieben, seit sie jung waren, und seitdem fröhlich so weitermachten. Nachdem sie aus Versehen ihren Familiensitz in Schottland abgefackelt hatten, fanden sie, es sei an der Zeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen, und zogen Richtung Süden, um eine Band zu gründen und möglichst viel Spaß zu haben. Mittlerweile waren die Zwillinge zweiundzwanzig und verbrachten die meiste Zeit benebelt von Alkohol in ihrem Haus in Camden im Norden Londons, hörten Musik und übten Gitarre. Obwohl sie vollblütige Mitglieder der herrschenden Familie der MacRinnalchs waren, hatten sie sich seit Jahren nicht mehr freiwillig in Werwölfinnen verwandelt. Sie hatten längst vergessen, wie das ging, auch wenn sie die Verwandlung, die sie jeden Monat bei Vollmond automatisch durchmachten, immer noch genossen. Dann dröhnten sie sich drei Nächte lang gnadenlos zu und rannten heulend und lachend durch die Straßen.
Zum großen Bedauern der Familie verfügten die Zwillingsschwestern durch das Erbe ihres Vaters über ein beträchtliches Einkommen. So gestärkt weigerten sie sich schlicht, nach Schottland zurückzukehren. Der Fürst und Verasa hätten sie gerne zurück auf das Anwesen ihrer Familie geschleppt, aber die einzige Möglichkeit wäre gewesen, die beiden zu kidnappen. Die Familie hatte das schon in Betracht gezogen. Das schändliche Verhalten von Beauty und Delicious durfte nicht ewig so weitergehen.
Der Zustand der jüngeren Werwolfgeneration hatte dem Fürsten und Verasa schon einige Sorgen bereitet. Allerdings hielt ein Großteil des MacRinnalch-Clans noch an der traditionellen Lebensweise fest. Viele lebten als brave Bürger auf den Ländereien
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ihrer Familie und verwandelten sich nur ab und an in Werwölfe, meistens, um Wild zu jagen. Dass gelegentlich auch Menschen auf ihrem Land getötet wurden, war nur natürlich. Man wusste schließlich, wie unvorsichtig Touristen waren.
Verasas jüngere Schwester Lucia, die ebenfalls in der Burg wohnte, verteidigte die Cousinen manchmal noch.
»Wenigstens trinken sie nur«, betonte sie Verasa gegenüber mehr als einmal.
»Sie haben nie jemanden verletzt.«
Womit Lucia sagen wollte, dass die Cousinen, von denen sie nicht sprachen, keine kriminellen Irren waren wie Kalix. Verasa ging darauf gar nicht ein.
Beauty und Delicious waren eine Schande für die Familie. Die Herrin der Werwölfe bedauerte, dass die beiden als Kinder so oft Burg MacRinnalch besucht hatten. Verasa hatte schon immer vermutet, dass sie einen sehr schlechten Einfluss für ihre jüngste Tochter abgegeben hatten.
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Kalix saß im Sessel und schlief. Sie wirkte ruhig und friedvoll. Manchmal murmelte sie ein paar unverständliche Worte. Daniel und Moonglow beobachteten sie von der anderen Seite des Zimmers aus. Nachdem sie ihre erstaunlichen Kräfte erlebt hatten, wollten sie ihr nicht zu nahe kommen.
»Sie sieht so klein aus. Irgendwie mitleiderregend«, sagte Moonglow.
»Dabei hat sie vorhin noch ihre Gegner mit Kung-Fu-Tritten durchs Zimmer geschleudert.«
Daniel schauderte. Er war noch immer fassungslos über Kalix' rabiaten Kampfstil. Der Kopfstoß gegen das Gesicht
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