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Kalix - Die Werwölfin von London

Kalix - Die Werwölfin von London

Titel: Kalix - Die Werwölfin von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Millar
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Malverias unerwartete Entscheidung gewesen, die Nacht in Moonglows Bett zu verbringen. Auf Jays fragenden Blick hin hatte Moonglow nur lahm erklären können, ihre Freundin Jane sei etwas exzentrisch und man müsse bei ihren Marotten Nachsicht zeigen.
    »Kannst du nicht ein anderes Mal Nachsicht zeigen?«, fragte Jay-
    »Tut mir leid«, sagte Moonglow. »Aber wir können es uns bestimmt auf dem Boden gemütlich machen.«
    Konnten sie nicht. Moonglow hatte versucht, das Beste daraus zu machen und sogar gesagt, es sei doch ganz romantisch, aber Jay hatte das anders gesehen.
    Auf Moonglows Annäherungsversuch hin hatte er behauptet, er sei müde, und sich weggedreht.
    Moonglow blieb nicht lange verärgert. Dafür war sie einfach zu gutmütig. Als sie vor dem College aus dem Bus stieg, war sie fast schon wieder die Alte. In ihrem Seminar ging sie mit einer kleinen Gruppe Studenten die Übersetzung eines sumerischen Textes durch. Der Text an sich war nicht besonders interessant und kaum mehr als eine Liste der Ernteeinträge von Feldern, die dem König von Ur gehörten, aber die Übersetzung hatte sich als schwierig erwiesen. Moonglow freute sich, als ihr Tutor ihr zu der hervorragenden Arbeit gratulierte.
    Ganz in der Nähe vom King's College stand das Brettenham House, ein großes, georgianisches Gebäude, das einige Jahre zuvor renoviert worden war. Ein schmaler Durchgang trennte es von der Strand, aber hinter der Tür erwartete den Besucher ein prächtiger Innenhof mit Springbrunnen. Das Wetter war klamm und kalt und lud eigentlich nicht dazu ein, Architektur zu bewundern, aber Moonglow unternahm nach ihrem Seminar trotzdem einen Spaziergang dorthin, weil sie vor ihren Kursen am Nachmittag etwas frische Luft schnappen wollte. Der Innenhof war kaum besucht. Moonglow zitterte vor Kälte. Sie wollte sich nicht setzen, sondern nur ein wenig herumschlendern und dann zurückgehen.
    Auf einem der Stühle im Innenhof saß ein Stadtstreicher. Er war nicht alt, aber wirkte verloren und hoffnungslos. Dreckig und unrasiert starrte er voll Verzweiflung auf die Pflastersteine vor seinen Füßen. Ein mitleiderregender junger Mann, auf dessen Schultern die ganze Welt zu lasten schien. Moonglow bedauerte ihn. Sie kramte in ihrem altmodischen kleinen Portemonnaie nach etwas Geld. Der junge Mann blickte nicht auf. Moonglow bemerkte, dass er einen Anzug trug, der früher einmal elegant gewesen, jetzt aber völlig zerlumpt war. Sein Haar war recht lang, verfilzt und offenbar blutverschmiert.

    »Wollen Sie -«, setzte Moonglow an, damit er sie bemerkte und das Kleingeld annahm.
    Der Stadtstreicher sah auf. Moonglow trat einen Schritt zurück. Beinahe wäre sie weggelaufen, aber er hatte etwas so Hoffnungsloses an sich, dass sie es nicht konnte.
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    »Markus?«, fragte sie.
    Markus sah glatt durch sie hindurch. Er erkannte sie nicht. Moonglow stand nur da, starrte ihn an und wusste nicht, was sie tun sollte. Am besten sollte sie gehen. Dieser Werwolf hatte Kalix brutal angegriffen. Man konnte ihm nicht trauen. Aber er wirkte so jämmerlich.
    »Markus? Was ist passiert?«
    Markus gab keine Antwort. Moonglow stand vor ihm und konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihn allein lassen oder ihm helfen sollte. Ihr fiel kein Grund ein, ihm zu helfen. Es war dumm, sich mit Kalix' Feinden einzulassen. Der Regen wurde stärker. Aber Moonglow hatte zu viel Mitleid mit ihm, um einfach zu gehen.
    »Brauchst du Hilfe?«, fragte sie.
    Markus reagierte nicht. Offenbar hatte er einen Schock.
    »Markus«, sagte Moonglow laut. »Was ist los?«
    Markus hob den Kopf ein winziges Stückchen an.
    »Talixia«, sagte er. Auf seinem Gesicht spiegelten sich innere Qualen wider.
    Moonglow wusste nicht, was Talixia bedeutete. Soweit sie es sehen konnte, hatte Markus keine schweren Verletzungen. Wenn es ihr gelang, ihn nach Hause zu schaffen, konnte er sich ausruhen und erholen. Sie hatte schon erlebt, welche Heilkräfte Werwölfe besaßen.
    »Wo wohnst du?«
    Wieder keine Antwort. Moonglow hatte genug davon, im Regen herumzustehen, deshalb nahm sie Markus bei der Hand und half ihm sanft auf.
    Er wehrte sich nicht. Sie führte ihn zum King's College, zu einem der Waschräume für Männer. Moonglow würde Markus wahrscheinlich im Taxi nach Hause bringen müssen, und sie wusste, dass Londoner Taxifahrer sich weigern würden, einen Fahrgast mit blutverschmiertem Gesicht mitzunehmen.
    »Wasch dir das Gesicht ab«, befahl sie ihm. »Dann kannst du nach Hause.«
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    Markus

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