Kalix - Die Werwölfin von London
ich dich als Häufchen Asche aus meinem Büro fegen. Aber ehrlich gesagt habe ich dazu einfach keine Lust. Außerdem bin ich dir wahrscheinlich etwas schuldig, weil du mich gerettet hast. Wenn du Kalix sehen willst, dann bitte, geh zu ihr. Garantiert führt das zu einer Katastrophe, aber das ist nicht mein Problem.«
Die Zauberin gab Gawain die Adresse in Kennington.
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»Sie wohnt bei zwei Studenten. Tu ihnen nichts, sie haben sich gut um Kalbe gekümmert.«
Gawain nickte. Auf dem Weg aus ihrem Büro blieb er stehen und betrachtete die Entwürfe auf ihrem Schreibtisch.
»Du bist eine echte Künstlerin, Thrix MacRinnalch«, sagte er, bevor er verschwand.
»Ein etwas unpassender Moment für ein Kompliment«, dachte Thrix. Vielleicht war das Gawains Art, sich für ihre Hilfe zu bedanken. Er hatte etwas von einem Gentleman an sich, auch wenn er jung war und ihm der letzte Schliff fehlte.
Thrix war zu müde, um nach Hause zu gehen. Sie zog ihre nassen Sachen aus, nahm einen Mantel von der Kleiderstange und legte sich auf das Sofa, mit dem Mantel als Decke und einem Sofakissen unter dem Kopf. Das war nicht die erste Nacht, die sie in ihrem Büro verbrachte. Zumindest konnte sie dadurch am nächsten Morgen früh an die Arbeit gehen. Vor dem Einschlafen überlegte sie, was ihre alte Lehrerin Minerva MacRinnalch wohl zu den Ereignissen dieser Nacht gesagt hätte. Thrix hatte das Zaubern zuerst bei Minerva gelernt, die sie fast sechs Jahre lang unterrichtete. Seit damals hatte Thrix viel dazugelernt, aber das Fundament ihres gesamten Wissens stammte von Minerva. Genau wie der Rat, der Thrix wieder einfiel, nämlich sich niemals mit Magie zu rächen.
Gefolgt von dem zweiten Rat, dass man, wenn man einer kleinlichen Rache nicht widerstehen konnte, es zumindest richtig machen sollte. Thrix schauderte bei dem Gedanken, was Minerva wohl dazu gesagt hätte, dass ihre Schülerin bewusstlos in einer Pfütze gelandet war. Zum Glück hatte Minerva sich auf eine weit abgelegene Bergspitze zurückgezogen und wagte sich nur noch selten in die Welt hinaus.
Die Zauberin nahm ihre Wolfsgestalt an. Das würde ihr neue Kraft verleihen.
Am Morgen würde es ihr wieder gut gehen. Sie schlief mit tröstlichen Erinnerungen an ihre alte Lehrerin ein, die sie viel lieber gemocht hatte als ihre ganze Familie.
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Delicious fuhr zurück nach Camden. Als sie ihr Haus erreichten, waren die Zwillinge wieder guter Laune. Die Gefahr war vorüber, sie waren in Sicherheit, und kein Werwolf machte sich lange Gedanken über einen Angriff der Avenaris-Gilde.
Dominil war in Gedanken versunken und schwieg auf dem gesamten Heimweg.
Kalix fand es aufregend, die drei zu treffen, war aber auch nervös. Es war ein seltsames Gefühl, Werwölfen aus ihrer Familie zu begegnen, die sie nicht zurück nach Schottland schleifen wollten. Dominil zusammen mit den Zwillingen zu sehen war immer noch erstaunlich. Die Familie hatte die beiden ausgestoßen. Sie wurden vielleicht nicht gehasst oder wie Kalix gejagt, aber waren immerhin ausgestoßen.
Ihre Unterhaltung verriet Kalix, dass sie in einer Band waren. Sie spielten Gitarre und sangen, und bald würden sie berühmt sein. Sie wirkten fröhlich und zuversichtlich. Kalix bewunderte sie und war gleichzeitig etwas eifersüchtig. Die Zwillinge waren frei und taten, was sie wollten. Hinter ihnen war die Familie nicht her, und sie wohnten in ihrem eigenen Haus. Sie hatten sich nie in irgendwelchen Gassen verstecken müssen. Sie sprachen davon, auszugehen und mit Freunden etwas zu trinken. Schon an ihren knallbunten Haaren erkannte Kalix, dass sie ein gutes Leben führten. Plötzlich fühlte sie sich viel jünger als die beiden und ihnen weit unterlegen. Als Kalix nach dem Namen ihrer Band fragte, klang ihre Stimme erstaunlich leise, und die Schwestern hörten sie bei dem Verkehrslärm nicht. Kalix kam sich dumm vor, weil sie etwas gesagt und keine Antwort bekommen hatte. Sie traute sich nicht, die Frage zu wiederholen.
Als sie Camden erreichten, bereute Kalix, dass sie mitgefahren war. Ihr graute vor der Frage, was sie selbst mit ihrem Leben anstellte. Dass sie vor gerade einmal einer Stunde grimmig ge
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kämpft hatte, um die anderen zu retten, hatte Kalix ganz vergessen, weil die Schwestern nicht über das Kämpfen sprachen. Sie redeten über Songtexte, Verstärker und neue Glitzerklamotten, die sie auf der Bühne tragen konnten.
Das klang alles viel aufregender als das Leben von Kalix. Zu Hause
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