Kalla vom Loewenclan - Abenteuer in der Steinzeit
Geröllplatten; es sah aus, als hätte ein Riese sie aus den Wänden gerissen und achtlos weggeworfen. Die zerklüfteten Wände verliefen in einem Halbrund und wölbten sich oben zu einer hohen Kuppel.
Und dort –
Kalla kam aus dem Staunen nicht heraus. Die gesamte Höhlendecke war überwuchert von riesigen glänzenden Wurzeln. Gigantische Knollen, Zwiebeln und Rüben quollen aus dem Gestein. Ihre Zapfen und Strünke reichten teilweise fast bis zum Boden hinunter, in einem Farbenspiel von strahlendem Weiß bis zu dunklem Braun. Noch nie hatte Kalla etwas Ähnliches gesehen. Das Staunen ließ sie ihre Furcht vergessen, und auf Zehenspitzen trat sie näher, um die seltsamen Gewächse zu berühren. Zu ihrer Verwunderung waren sie nicht weich und feucht, sondern fühlten sich hart und kalt an; und alle schimmerten sie in frostiger Starre.
Langsam ging Kalla durch die fremdartige eisige Welt. Neben ihr platzte ein verworrenes Dickicht von hell glänzenden Baumstämmen aus dem Felsen, und aus Boden und Wänden sprossen Blätter und Riesenpilze.
Doch nicht nur Pflanzen wuchsen aus dem Gestein. Schmale weiße Säulen ragten steil aus dem Boden empor und gabelten sich zu bizarren Gestalten. Vogelflügel fächerten sich an den Wänden, Knäuel von knospenden Muscheln schmiegten sich ineinander. Aus einem Felsdach stürzte ein steinerner Wasserfall herab, daneben bündelten sich zahllose weiße Röhren zu einem wallenden Vorhang. Und überall krochen in verwirrender Vielfalt Löwenschwänze und Bärentatzen aus dem Gestein, Reiherschnäbel, Stoßzähne, Fischbäuche. Steinerne Augen starrten in den flackernden Raum, wimpernlos, mit blassen Pupillen.
Je länger Kalla die wuchernden Wände betrachtete, desto mehr Dinge entdeckte sie in ihnen; und das unruhige Flammenspiel der Steinlampen verlieh den rätselhaften Gestalten eine gespenstische Lebendigkeit.
Was war das für ein Ort? Überwältigt sank Kalla in die Knie und starrte auf ein mächtiges Wurzelwerk, das aus der Decke sickerte. In dieser Höhle schien es alles zu geben. Was immer ihr gerade in den Sinn kam – ein Rentierkopf, eine Hand, eine Muschel –, schon im nächsten Augenblick glaubte sie, es aus einem Stein herauswachsen zu sehen. Dort drüben wuchs sogar ein weißes glänzendes Mammut aus dem Boden! Darüber ballten sich große Tropfen zu dicken Trauben zusammen. Wie schwere pralle Brüste hingen sie von der Decke herab. Darunter wölbten sich dicke halbrunde Kugeln zu einem schwebenden Netz von Bäuchen und Gesäßbacken.
Ein leises klatschendes Geräusch schreckte sie auf. Ein Tropfen war von der Decke gefallen.
Und mit einem Mal wusste Kalla, wo sie war: Sie war im Reich von Mutter Ama. Ja, so musste es sein: Hier, tief unter der Erde, in ihrem dunklen Schoß, lagerte die große Erdmutter alles, was sie brauchte, um den Fortbestand des Lebens in der Sonnenwelt zu sichern.
Aus den zahllosen Wurzeln und Zwiebeln an der Decke ließ sie die Pflanzen in der Sonnenwelt oben erwachsen; der steinerne Blütenkranz dort an der Wand schien es gar nicht erwarten zu können, aus der Erde kriechen zu dürfen. Aus den zahllosen dünnen Stäben schuf Ama die Beine für Pferde, Hirsche und Gämsen, und aus den schmal zulaufenden Enden machte sie Finger und Zehen. Die riesigen weißen Sicheln daneben waren die Stoßzähne für die Mammuts, die einst geboren werden würden, und die dicht verschlungenen Röhrenknäuel, die in den Ecken nisteten, waren zweifelsfrei Gedärme.
Wie gebannt starrte Kalla die Wände an. Die unzähligen Nasen, Schnauzen, Rüssel, Lippen und Augen, die schattenhaft in den Steinen schlummerten, würden sich bald zu vollständigen Gesichtern entwickeln und zusammen mit Bäuchen, Brüsten, Ohren, Hälsen, Schwänzen und Beinen zu Tieren und Menschen erwachsen. Ja, das war die Erklärung: Diese Höhle hier war Amas große Vorratskammer, in der die Keime für alles zukünftige Leben gelegt wurden. Und Kalla ahnte, dass diese Höhle nicht die einzige war. Vermutlich gab es mehrere, ja viele solche unterirdischen Räume. Denn die Sonnenwelt war groß, und Ama brauchte viel Werkstoff, damit täglich neues Leben geboren werden konnte.
Kalla hatte die Höhle durchquert und folgte weiterdem Weg, den die Steinlampen wiesen. Wieder gelangte sie in einen Gang, und wieder weitete er sich nach einer Weile zu einer Höhle. Sie war nicht ganz so groß wie die erste, und aus dem Boden wuchsen lediglich ein paar schimmernde Säulen empor. Die Wände
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