Kalla vom Loewenclan - Abenteuer in der Steinzeit
Allmählich wurde sie wach und begriff, dass die rhythmischen Schläge von großen Trommeln herrührten. Sie hob den Kopf. Sofort wurde ihr schwindlig. Blinzelnd sah sie in einen von grünlichen Schwaden vernebelten Raum und erkannte einen flackernden Lichtkreis, um den zum Takt der Trommelschläge dunkle nebelhafte Schatten herumstampften und sangen.
Und dann begriff Kalla, was geschehen war: Sie war, ohne es zu wissen und zu wollen, in die Welt der Geister geraten – in jene Welt, die allein den Männern vorbehalten war.
Sie würgte und versuchte, einen Hustenreiz zu unterdrücken. Auf keinen Fall durfte sie entdeckt werden. Sie war ein Mädchen, und wenn man sie hier finden würde, würde man sie bestrafen, schrecklich bestrafen. Sie musste fort, so rasch wie möglich. Aber sosehr sie ihren Armen und Beinen befahl, sich zu rühren, sie vermochte sich nicht zu bewegen. Eine lähmende Müdigkeit hatte ihre Glieder befallen, sogar die Lider waren merkwürdig träge und schwer.
Benommen starrte sie auf die Nebelgestalten, die zu dumpfen Gesängen um die flackernden Steinlampen kreisten. Ihre Gesichter waren flächig wie die von Pferden und seltsam bunt und starr. Einmal sah Kalla große, weiß schimmernde Schalen, die herumgereicht wurden, dann verschwanden die Bilder wieder in den wolkigen Dämpfen. Der Gestank, der von ihnen ausging, drang bis in Kallas Versteck und war so scharf und ätzend, dass ihre Augen zu tränen begannen. Immer dichter wurden die Nebel. Und dann wurde Kalla von Farben und Bildern überwältigt, die sie nie zuvor gesehen, von denen sie nie gehört, niegeträumt hatte. Inmitten von flammenden Wolken flogen sonderbare dickbäuchige Wesen mit schwarzen Mähnen und roten Schnabelköpfen, andere hatten gehörnte Schädel und blaue Flügel. Kopflose Rentiere und Hirsche quollen aus den Wänden und gebaren geschwänzte Spinnen. Füchse sprangen aus den Felsen und prallten auf Fische, die senkrecht aus dem Boden schossen. Silberne Pferde torkelten durch die Luft, lösten sich in Rauchfahnen auf und kamen als stelzbeinige Vögel mit Rinderköpfen zurück. Dazu dröhnten die Trommeln, Schwirrhölzer surrten, und immer dichter wurde der stinkende Qualm.
Fort, hämmerte es in Kallas Kopf, ich muss fort von hier. Endlich ließen sich die Arme und Beine wieder etwas bewegen, und es gelang ihr, aus ihrem Versteck zu kriechen. Auf allen vieren robbte sie vorwärts, die Augen brannten, ihr Mund war trocken, die Zunge dick und pelzig. Wasser, dachte sie, ich muss Wasser finden. Doch da war kein Wasser, nur eisige Kälte, und ihre suchenden Hände griffen in scharfe Kanten, die ihr die Haut blutig rissen. Jede Bewegung, die sie machte, schien eine Ewigkeit zu dauern. Dann, endlich, verhallten die Gesänge in der Ferne, und irgendwann verstummten auch die Schläge der Trommeln. Schließlich ließ auch das Brennen in den Augen nach, und Kalla konnte sie wieder öffnen. Sie hoffte, die Steinlampen zu sehen, die den Weg nach draußen wiesen. Doch um sie herum herrschte tiefe Nacht. Hatte sie sich verlaufen? Oder hatten die Geister die Lichter ausgelöscht? Hatten sie beschlossen, Kalla in Amas Reich festzuhalten?
Blindlings kroch sie weiter. Immer wieder versperrten Felswände ihr den Weg. Dann suchte sie den Boden ab, wo der Gang weiterführte. Manchmal ertastete sie zwei oder mehrere Wege und wählte irgendeinen, in der Hoffnung,endlich ins Freie zu gelangen. Oft endete ein Gang in einer Nische, dann musste sie umkehren und die Suche erneut beginnen. Amas Reich war ein endloses Labyrinth, in dem sich zahllose Wege trafen und trennten, und Kalla fühlte sich gefangen wie in einem riesigen Spinnennetz.
Müde vor Furcht hatte Kalla jegliches Zeitgefühl verloren. Sie fror jämmerlich, im linken Fuß pochte es, der ganze Körper schmerzte. Manchmal versuchte sie sich aufzurichten, doch jedes Mal stieß sie an spitze Steinkanten oder schlug mit dem Kopf gegen die niedrige Decke. Endlose Male fiel sie zu Boden, biss die Zähne zusammen und raffte sich wieder auf. Schließlich schwanden ihr die allerletzten Kräfte. Knie und Ellenbogen knickten ein, und sie blieb liegen. In ihrem Kopf begann es zu wirbeln. Endlose Bilder woben sich ineinander, unzählige Stimmen hallten in ihr, und alle erzählten sie dieselbe uralte Geschichte von Ama und den Geistern und vom Schwarzen Fluss.
Reglos lag Kalla am Boden. Und plötzlich überkam sie eine unerwartete Ruhe. Beinahe sehnte sie den Schwarzen Fluss herbei. Dort
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