Kalla vom Loewenclan - Abenteuer in der Steinzeit
und Decken jedoch –
Kalla schnappte nach Luft. Tiere! Die ganze Höhle war voller Tiere. Es waren Tiere, die ihr vertraut waren, gleichzeitig aber auch völlig fremd, denn sie schienen in den Steinen zu wohnen.
Langsam ging Kalla die Wände entlang. Hier standen zwei mächtige Wisente beieinander, in der Ecke darüber beugte sich eine Antilope über eine Gruppe von kopflosenPferden; daneben standen zwei Bisons, die Pferdeköpfe in ihren Bäuchen trugen. Auf der nächsten Wand rannten vier Rentiere hintereinander her, gefolgt von einem Mammut, das den Kopf gesenkt hatte. Sein linker Stoßzahn berührte das Hinterbein eines Hirschs, der den Kopf hob und stolz sein prachtvolles Geweih zeigte.
Kalla runzelte die Stirn. Zweifellos waren das Tiere, wie sie in der Sonnenwelt lebten. Ihre einzelnen Gliedmaßen waren fast vollständig zusammengewachsen, also mussten die Tiere schon geboren sein und konnten nicht zu Amas Lager gehören. Und doch schienen sie aus den Wänden herauszuwachsen.
Sie sah zur Decke hinauf. Und wieder hielt sie den Atem an. Auch die flach gewölbte Kuppel dort oben war voller Tiere. Da war eine Antilope, die eben zu einem hohen Sprung über einen Löwen ansetzte. Darunter schwamm ein lang gestreckter schmaler Fisch. Links davon stand ein Wollnashorn; über ihm rannten zwei Steinböcke mit gesenkten Köpfen aufeinander zu. Daneben stand ein Mammut, und in der Mitte des steinernen Himmels thronte ein Stier mit mächtigen Hörnern.
Himmel? Diese Höhlen waren offenbar nicht nur die Lagerstatt von Amas Reich. Auch die Tiergeister schienen hier unten zu wohnen. Aber lebten sie denn nicht oben am Himmelsdach über der Sonnenwelt: die Geister des Löwen, des Steinbocks, des Fisches?
Kalla erinnerte sich, wie sie und Tomo einmal den Männern zugehört hatten. Sie hatten um das nächtliche Feuer gesessen, und in der Mitte hatte Loas gestanden und in den sternklaren Himmel gedeutet. »Dort wandert der Geist des Löwen«, hatte er gesagt. »Und dort der Geist des Steinbocks und dort drüben der Geist der Fische.«
Tomo hatte sich vorgebeugt und aufmerksam gelauscht, damit ihm kein Wort des Sehers entging. Kalla hingegen hatte nicht verstanden, wie man in den Sternen die Tiergeister zu sehen vermochte. Doch allein die Vorstellung, dass die Geister dort auf den fernen Himmelslichtern wohnten, hatte sie überwältigt. Und andächtig hatte sie auf den größten von allen gestarrt, den großen Himmelsstier, der abwechselnd seine weißen Lichthörner zeigte und der auch Mond genannt wurde.
Doch wie konnte das riesige Himmelsgewölbe mit all den Tiergeistern gleichzeitig oben in der Sonnenwelt und hier unten in Amas Höhlenreich sein?
Eine Fledermaus segelte lautlos durch den Raum. Fast gleichzeitig ertönte ein leises Stimmengemurmel. Kalla erschrak. Zwar war sie zufällig hierhergeraten, doch konnte man sie ebenso gut für einen neugierigen Eindringling halten. Womöglich würde sie sogar bestraft werden? In jedem Fall war es besser, sich erst einmal zu verstecken und abzuwarten. Sie entdeckte am anderen Ende der Höhle eine kleine Felsennische und rannte darauf zu. Gerade als sie den Schlupfwinkel erreicht hatte, hörte sie Schritte. Eilig zwängte sie sich in das niedrige Loch. Dann drehte sie sich um und spähte in die Höhle hinaus. Vor Entsetzen hätte sie beinahe laut aufgeschrien: Vor der Wand schräg gegenüber stand, hoch aufgerichtet, ein riesiger pechschwarzer Bär. Reglos stand er im flackernden Lichtschein, und er kam ihr größer und gewaltiger und dunkler vor als alle Lebewesen, die sie je gesehen hatte.
Kalla presste die Hand auf den Mund. Dann bewegte sich der Bär. Dabei verdoppelte er sich zu zwei Gestalten, und Kalla erkannte den Seher Loas. Er war in ein langes dunkles Bärenfell gehüllt. Der schwarze Riesenbär war der Schatten gewesen, den sein Körper auf die Wand geworfen hatte. Beim Zurücktreten gab er die Sicht frei auf eine zweite, bisher verdeckte Gestalt. Es war ein hoch aufgeschossener schmaler Junge in einem knielangen Lederhemd – Tomo!
Tomo? Wieso war Tomo hier? In Kalla arbeitete es fieberhaft. Sie hatte sich nicht geirrt, es war also wirklich Tomo gewesen, den sie auf dem Felsplateau hatte laufen sehen. Doch warum war er nicht stehen geblieben, als sie ihn rief? Und was tat er hier unten in Amas Reich, mit Loas?
Loas deutete auf die Mitte des Raumes und schienTomo eine Anweisung zu geben. Tomo nickte und lief in einen Seitengang. Wenig später kam er mit
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