Kalla vom Loewenclan - Abenteuer in der Steinzeit
Monde mochte es gesehen haben. Um den Hals trug es eine dünne Schnur, an dem ein weißes Fellstück und ein Zahn befestigt waren. Um das winzige Handgelenk war ein dünnes rotes Haarband gebunden.
»Solch ein Band habe ich auch bei der Frau gefunden«, sagte Blaga. »Es scheint Fuchshaar zu sein, offenbar gehört das Kind also dem Fuchsclan an. Der Zahn und das Fellstück sind wohl die Zeichen seiner Schutztiere. Der Zahn stammt von einer Fledermaus und das Fell von einem weißen Wiesel. Das Kind hat also zwei Schutztiere: die Fledermaus und das weiße Wiesel.«
Alle hatten wir gestaunt, denn es ist höchst ungewöhnlich, dass ein Mensch zwei Schutztiere hat.
»Ich bitte darum, dass das Kind ein Mitglied unseres Clans wird«, sagte Mea. »Wie ihr wisst, hat Mutter Ama mir meine Söhne Brai und Aikle geschenkt, doch hat sie vier weitere Kinder, die ich trug, noch vor der Geburt wieder zu sich geholt. Jetzt hat sie mir den Weg zu diesem Kind gezeigt, und so will ich es nach ihrem Willen an meinem Herdfeuer aufnehmen wie mein eigenes.«
Der Clan hatte sich beraten und Meas Bitte zugestimmt, und Irinot hatte feierlich verkündet:
»Willkommen bei uns, fremdes Kind. Von nun an ist dein Platz in unserem Clan, und du sollst den Namen tragen ›Tomo vom Löwenclan, der aus dem Feuer gerettet wurde und unter den Schutzgeistern der Fledermaus und des weißen Wiesels steht‹.«
So war Tomo vom Löwenclan aufgenommen und aufgezogen worden. Kalla, die erst einige Sommer später geboren wurde, hatte seiner Herkunft nie eine Bedeutung zugemessen. Für sie war Tomo ein Clanmitglied wie alle anderen, und vor allem war er ihr bester Freund.
Langsam ging sie weiter, zu den dichten, stacheligen Büschen, die das Felsplateau säumten. Bei einem Weißdornstrauch blieb sie stehen.
Hier – sie erinnerte sich ganz genau – war die Gestalt verschwunden. Aber wohin? Der Weg zum Plateau hinauf war durch hohes trockenes Gestrüpp versperrt. Dorthin konnte Tomo – oder wer immer sonst es gewesen war – nicht so schnell verschwunden sein.
War er etwa in ein Loch gefallen? Sie bückte sich und untersuchte die Erde. Dabei entdeckte sie ein paar abgebrochene Äste. Sie stammten vom Weißdornstrauch. Ihre Bruchstellen waren hell und frisch, ein Zeichen, dass der Ast tatsächlich erst vor ganz kurzer Zeit abgebrochen worden war. Langsam bog Kalla die Zweige des Strauchs auseinander und sah – in einen riesigen schwarzen Schlund. Und dann brach der Boden unter ihren Füßen und sie fiel und fiel …
IM REICH VON MUTTER AMA
ICH,
Karai des Schwalbengeistesvom Steinbockclan, der ich, Schutzbefohlener über die hohen Berge ins Südland gereist bin und hinüber ins Westland bis zum Großen Wasser, erzähle euch die Geschichte, wie die Sonne versuchte, das Geheimnis des Mondes zu ergründen.
Wie ihr wisst, steigt an manchen Tagen der Mond schon herauf, wenn der Himmel noch vom Licht der Sonne beherrscht wird. Dann sieht die Sonne, dass der Mond manchmal eine volle Scheibe ist und an anderen Tagen eine halbe. Doch kennt sie das Geheimnis seiner Wandlung nicht. Nun geschah es eines Tages, dass die Sonne gar zu neugierig wurde, und sie rief den listigen sechsflügeligen Kasaramsavogel zu sich und sagte: »Ich will, dass du heute Nacht zum Mond fliegst und das Geheimnis seiner Wandlung ergründest.
Denn mir als größtem Gestirn am Himmel steht es zu, dieses Geheimnis zu kennen.«
Zufällig hatte aber die Spinne das gehört, und sie rannte sofort zu Erdmutter Ama und berichtete, was sie gesehen und gehört hatte. Ama war sehr besorgt und sagte: »Das Rätsel des Mondes ist das Geheimnis von Geburt und Wachstum und Tod. Dieses Geheimnis untersteht dem Schutz der Nacht und darf niemals ins helle Licht der Sonne geraten. Wir müssen den Mond unbedingt schützen.«
Und sie rief einen Stier, der durchsichtige Hörner hatte, und befahl ihm: »Geh hinauf zum Himmel und fülle deine Hörner mit dem Licht des Mondes, damit sich niemand an ihm zu schaffen machen kann. Ich werde dir den Wolf als Begleiter mitgeben. Er ist ein besonderer Freund des Mondes.«
Der Stier sagte: »Ich will tun, was du sagst. Doch wie soll ich zum Mond gelangen?«
Da gab Ama ihm einen Sack voller Zwiebeln, die sollte er fressen. Der Stier gehorchte und begann die Zwiebeln zu fressen. Kurz darauf begann sich sein Darm zu blähen. Mächtige Winde entwichen aus seinem Leib, hoben ihn von der Erde und trugen ihn himmelwärts. Treulich rannte der Wolf
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