Kalle Blomquist
Augen: »Du hast den Mörder gefragt, sagst du? Wagst du wirklich zu behaupten, du wüßtest, wer Gren ermordet hat? Hast du vielleicht auch gesehen, wie es geschah?«
»Nein«, sagte Eva-Lotte, »aber wenn ich sehe, wie erst ein Mensch zwischen Büschen verschwindet und gleich danach ein anderer Mensch auch dorthin verschwindet und ich nach kurzer Zeit den zuerst erwähnten Menschen dort tot vorfinde, dann kann es nur eins geben: Ich muß den anderen, den übriggebliebenen Menschen, verdächtigen. Gren kann natürlich auch gestürzt und dadurch umgekommen sein. Aber das muß man mir erst beweisen.«
Björk
hatte
recht. Das hier war wirklich ein unglaublich sachliches Kind.
Sie berichtete weiter, wie sie, als sie die beiden Männer dorthin hatte verschwinden sehen, wo der Großmummrich lag, in den Herrenhof gegangen war, um sich die Wartezeit zu vertreiben, und daß sie dort höchstens eine Viertelstunde geblieben war.
»Und danach?« fragte der Kommissar.
Eva-Lottes Augen verengten sich. Sie sahen gequält aus. Das, was jetzt kommen sollte, war am schwersten zu erzählen. »Ich prallte genau auf ihn – da auf dem kleinen Pfad«, flüsterte sie.
»Ich fragte ihn, wie spät es sei, und er sagte: ›Viertel vor eins‹.«
Der Kommissar sah zufrieden aus. Der Gerichtsarzt hatte als den Zeitpunkt der Tat die Zeit etwa zwischen zwölf und zwei festgesetzt. Die Angaben der Kleinen aber machten es möglich, die Zeit genau festzulegen: etwa zwischen halb eins und Viertel vor eins. Diese Tatsache konnte wichtig werden. Bestimmt, Eva-Lotte war ein unschätzbarer Zeuge!
Er fragte weiter: »Wie sah der Mann aus? Erzähle alles, wor-an du dich erinnern kannst. Alle Einzelheiten.«
Eva-Lotte holte wieder die dunkelgrünen Gabardinehosen hervor. Dann das weiße Hemd. Und den dunkelroten Schlips.
Die Armbanduhr. Eine ganze Menge schwarzer Haare auf den Händen.
»Wie sah er im Gesicht aus?« wollte der Kommissar wissen.
»Er hatte einen Schnurrbart«, antwortete Eva-Lotte. »Und langes schwarzes Haar, das ihm in die Stirn hing. So sehr alt war er nicht. Er sah gut aus. Aber ängstlich und böse. Er lief von mir fort, so schnell er konnte. Er hatte es so eilig, daß er einen Revers verlor – und das hat er nicht einmal bemerkt.«
Der Kommissar hielt einen Moment den Atem an. Dann stieß er hervor: »Um Himmels willen, was sagst du da? Was hat er verloren?«
»Einen Revers«, sagte Eva-Lotte stolz. »Wissen Sie nicht, was das ist, Herr Kommissar? Das ist nur ein kleines Stück Papier, und ganz oben steht ›Revers‹ drauf. Ich sage Ihnen, das ist nichts als ein kleines Stück Papier. Aber die Menschen, glauben Sie mir, machen oft viel Wesens um solche Reverse.«
Der Kommissar sah erneut seine Kollegen an. Die gestrigen Vernehmungen bei Grens Nachbarn oben auf dem Rackerberg hatten ja klar ergeben, daß Gren als lohnenden Nebenverdienst einen kleinen Wucher betrieb. Viele hatten bemerkt, daß er abends in seinem Haus geheimnisvolle Besucher empfangen hatte – allerdings nicht oft. Gewiß hatte er es vorgezogen, seine Kunden irgendwo in der Umgebung der Stadt zu treffen. Bei der Haussuchung hatte man eine ganze Menge Reverse gefunden, mit verschiedenen Namen unterzeichnet. Alle Namen waren notiert worden, und man bereitete sich darauf vor, notfalls alle geheimnisvollen Kunden von Gren aufzuspüren. Einer von ihnen konnte der Mörder sein.
Der Kommissar hatte sofort den Gedanken gehabt, daß sich einer von ihnen durch den Mord aus der Geldverlegenheit, in die er durch Gren hineingepreßt war, hatte retten wollen. Das mußte das Motiv zu dem Verbrechen sein. Aber so etwas tat niemand, wenn er nicht sicher war, sämtliche Papiere an sich bringen zu können, die für ihn verräterisch werden konnten.
Und nun saß das Mädchen hier und erzählte, daß der Mörder dort zwischen den Büschen einen Revers verloren hatte. Einen Revers, auf dem sein Name stand! Einen Revers mit dem Namen des Mörders … Der Kommissar war so erregt, daß seine Stimme zitterte, als er sich zu Eva-Lotte vorbeugte: »Hast du den Revers aufgehoben?«
»Ja, natürlich«, sagte Eva-Lotte.
»Was hast du damit gemacht?« Der Kommissar hielt wieder den Atem an.
Eva-Lotte dachte nach. Es war totenstill, während sie nachdachte. Nur die Buchfinken und Meisen setzten ihr Konzert im Apfelbaum fort. »Das weiß ich nicht mehr«, brachte Eva-Lotte schließlich langsam hervor.
Der Kommissar stöhnte leise.
»Aber ich sage Ihnen ja, das war nichts weiter
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