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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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unvermindert weiter, und er machte keine Anstalten, es zu zügeln. Verzweifelt glitt ich von der mit Schweiß und Blut durchtränkten Decke des Pferdes, sprang ab und landete auf allen vieren im Schlamm.
    Ich rappelte mich auf und begann zu laufen. Ich lief und sah nicht das Chaos ringsum; lief und dachte weder an Gefahr noch an Krieg oder an den Feind. Ich dachte nur an meinen Geliebten, und mein Zweites Gesicht, obwohl von meinen aufgewühlten Gefühlen verschleiert, war immerhin so stark, dass es mich zu ihm führte. Nach einer Weile - einer Ewigkeit, einem Herzschlag -stand ich an der Stelle, wo die Kämpfe begonnen hatten, wo die Blüte des französischen Adels, die Grand Seigneurs, die edelsten Chevaliers, zuerst gefallen waren. Ein Stück weiter endete das Feld und ging in Sumpfland über, dann in einen Weinberg, schließlich in Hecken und Abhänge, die den Bogenschützen ein ideales Versteck boten. Das englische Fußvolk schlug sich noch immer durch den Sumpf zu uns durch, die Männer sanken knöcheltief ein. Neben mir lag ein fremder Ritter auf der Seite. In seiner Rüstung steckten mehr als ein Dutzend Pfeile, und auch aus der Brustplatte, seinen ungeschützten Armen, den Beinen, sogar aus dem Visier, das sein verborgenes Gesicht eigentlich schützen sollte, ragten sie heraus.
    Noch immer hielt er die Zügel seines gefallenen Pferdes in den Händen. Das arme Tier lag ebenfalls tot auf der Seite, Flanke und Rumpf von einer ganzen Köcherladung Pfeile durchbohrt. Die Pferdedecke und der Umhang des Ritters waren scharlachrot mit einigen weißen Flecken. Gepeinigt von der Erkenntnis, dass ich nicht allen helfen konnte, die ich sah, war ich schon fast an dem Mann vorbeigelaufen. Dann blieb ich stehen und schluchzte heiser auf. Der Umhang war nicht scharlachrot, sondern von Blut durchtränkt, und die roten Flecken hatten die Rosen unter dem dunklen Falken beinahe unsichtbar gemacht. Bei seinem Anblick empfand ich eine grässliche Endgültigkeit. Diesen Tod hatte ich nicht verhindern, diesem Mann nicht mehr helfen können.
    Es war der Grand Seigneur von Toulouse, Paul de la Rose. Da zischte keine Handbreit von meinem rechten Ohr Metall durch die Luft, so laut, dass ich aufschrie und über einen toten englischen Soldaten stolperte. Ich fing mich wieder und machte auf dem Absatz kehrt, um mich der Waffe entgegenzustellen.
    An der englischen Streitaxt klebte geronnenes Blut, und der blonde Soldat, der gerade ausholte, um mir den Schädel zu spalten, wirkte völlig teilnahmslos - ein beliebiger Söldner, geschützt durch einen zerbeulten Helm und einen verkratzten Lederschild. Ich sank auf die Knie.
    Metall kreischte auf Metall, ein Schwert prallte gegen die Axt. Blau-goldene Funken stoben auf und glitzerten verwirrend in der Sonne - sie kamen mir vor wie ewiger Glanz, weiß glühende Helligkeit.
    Die Gestalt mit dem Schwert kehrte mir den Rücken zu: ein französischer Ritter, dessen fleckiger Umhang das Bild des Falkens über den drei Rosen trug. Edouard, dachte ich. Doch die Beine des Mannes waren länger, die Schultern breiter.
    Sowie mir Edouards Name einfiel, wusste ich, dass ich mich irrte, und mir war klar, auf wen ich schaute. Als ich ihn leibhaftig vor mir sah, schrie ich leise auf. Mit leicht verzögerten Bewegungen holte er mit seinem Schwert aus, um die Axt zu parieren, und die beiden Waffen prallten mit solcher Wucht aufeinander, dass ich den Atem anhielt. Der Ritter drehte den Kopf und versuchte, mir über die Schulter einen kurzen Blick zuzuwerfen, um sich zu vergewissern, ob noch ein Soldat mich bedrohte ... Doch diese Bewegung lenkte ihn so sehr ab, dass sein Feind ungehemmt zuschlagen konnte. Der englische Soldat holte mit Schwung aus, um seinem Hieb die nötige Kraft zu verleihen.
    Da tauchte Edouard hinter ihm zu Pferde auf und stieß mit seiner Lanze zu.
    Der Mann kippte vornüber, doch sein Körpergewicht verstärkte nur die Wucht der schweren Axt, die in hohem Bogen unerbittlich auf meinen jungen Paladin niederging.
    Ich konnte nicht sehen, was tatsächlich passierte, doch ich vernahm das Kreischen der Klinge, die auf Metall traf, dann das leisere, gedämpfte Geräusch, als sie in Fleisch und Knochen drang.
    Mein Geliebter ließ das Schwert fallen und schwankte, er ruderte mit den Armen, konnte aber das Gleichgewicht nicht halten. Mit scheppernder Rüstung fiel er rücklings auf den feuchten Boden. Auf seiner Brust lag der Engländer.
    Edouard sprang vom Pferd und zog den Angreifer fort. Nun

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