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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Sprache. Er war überzeugt, der Kardinal beliebte zu scherzen, wenn es auch ein grausamer Spaß war angesichts der Tatsache, dass der arme Charles gerade erst gestorben war. Doch die Sekunden verstrichen, und Chretien behielt seine ernste Haltung bei. Da sagte Michel sich: Nein, er meint wohl, dass er sich für den Tod von Vater Charles verantwortlich fühlt, weil er nicht da war, um ihn zu verhindern. Vielleicht hat er das Gefühl, er hätte gleich zu Beginn nach Carcassonne kommen und das Verfahren überwachen sollen.
    Aber plötzlich hatte er das Bild von Vater Charles vor Augen, als dieser gerade erkrankt war und wirr daherredete: Es ist meine Hoffart... Ich habe dich wie einen gehorsamen Lakaien herumgescheucht, habe mit dir geprahlt, als wollte ich sagen: Er gehört mir, ganz allein mir ...
    »Alles, was die Seherin Sybille dir gesagt hat, stimmt«, erklärte der Kardinal ruhig. »Dein richtiger Name ist Luc de la Rose, du bist in Toulouse geboren, nicht in Avignon, und du bist nicht seit deiner Geburt bei mir, sondern erst seit einem Jahr. Aber sie ist eine Heidin, eine Ketzerin, und das Märchen, das sie dir erzählt hat, unterstreicht diese Tatsache nur. Ihre Magie stammt nicht von Gott, sondern vom Teufel, ebenso wie ihr ganzes Geschlecht. Dennoch hält sie sich für heilig, für die Repräsentantin ihrer Göttin.«
    Michel atmete heftig aus und sank zurück auf die Fersen. Er fühlte sich wie ein taumelnder Irrer, der vergeblich nach seinem gesunden Verstand sucht. Alles, was er für die wahren Erinnerungen an sein Leben gehalten hatte - die Jahre im Kloster, sein gutes Verhältnis zu Vater Charles und zu dem Mann, der vor ihm stand -, waren nur Träume gewesen. Und was er für Träume gehalten hatte, war die eigentliche Wirklichkeit seines Lebens.
    Die größte Wahrheit aber war, dass er Sybille liebte und sie ihn.
    Voller Abscheu schaute Michel den Mann an, den er wie einen Vater geschätzt hatte, und er wusste, dass Chretien ihn und Vater Charles nur als austauschbare Schachfiguren betrachtet hatte. Er schaute dem Kardinal in die Augen und sah weder Zuneigung noch Trauer, nur Berechnung und Selbstgefälligkeit darin. In diesem Augenblick wichen auch Michels letzte Zweifel, die Verwirrung fiel von ihm ab, und er wusste, dass jedes Wort von Sybille wahr gewesen war.
    Mit kaum unterdrücktem Hass sagte er: »Dann seid Ihr des Teufels, Kardinal. So wie ich, denn sie hat gesagt, wir gehörten beide dem Geschlecht an.«
    Seine Wut kaum unterdrückend, sprang Chretien vom Stuhl auf. »Mein armer, irregeleiteter Michel! Siehst du denn nicht, was wir sind? Wir sind ein Geschlecht unheiliger Ungeheuer, der Samen von Lilith, die weder Gott noch Adam gehorchte. Unsere widernatürlichen Kräfte entspringen dem Teufel. Frag dich selbst: Wie könnte jemals eine Frau so heilig sein wie unser Herr? Gott hat uns untersagt, uns mit übler Zauberei abzugeben, es sei denn, wir stellten sie in den Dienst Gottes und nutzten sie, die anderen, uns ähnlichen Ungeheuer zu zerstören.
    Rufe ich Dämonen an? Übe ich Magie aus? Ja, im Namen des Herrn. Weder die Flammen des Scheiterhaufens, noch die Hölle sind Strafe und Leid genug für die Bosheit der Verbrechen eines Ketzers.«
    »Welcher Verbrechen?«, unterbrach Michel ihn. »Die Zukunft vorauszusehen? Kranke zu heilen? Tote wiederzubeleben?«
    »Wenn es ohne den Segen Gottes geschieht, sind das in der Tat Verbrechen.« Der Kardinal riss sich zusammen und fügte sanfter hinzu: »Sich zu weigern, Gesetzen zu gehorchen, sich gegen die Ordnung aufzulehnen, das ist die eigentliche Sünde. Nur wenn wir uns fest an die Gesetze und Vorschriften der Kirche halten, werden wir erlöst. Ich habe alles gelesen, was du auf deine Wachstafeln geschrieben hast, mein Sohn, ich habe meistens eure Unterhaltungen belauscht. Hör dir doch nur an, wie sie ihre Erfahrung mit der Göttin beschreibt! Wildes, schändliches Vergnügen, Ekstase ohne Regeln, ohne Grenzen. Wir Menschen sind nichts als feige Kreaturen, und diejenigen von uns, die dem Geschlecht angehören, sind noch schlimmer. Wir müssen uns an die Mutter Kirche halten, ihren Vorschriften folgen, ihre Liturgie singen, unsere Sünden beichten, die Absolution erhalten ... Dieses Geschwätz vom freien Willen ist Unsinn. Die Menschen dürfen nicht ihrem Herzen folgen. Der Wille muss kontrolliert, nach Gottes Willen geformt werden. Wenn nötig mit Gewalt ...« Ohne auf die Worte des Kardinals einzugehen, unterbrach Michel ihn verächtlich:

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