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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gewesen bist. Wärst du von Kindesbeinen an im Papstpalast als Sohn des mächtigen Chretien groß geworden, hättest du doch zumindest inzwischen dein eigenes Bistum. Aber du bist nur ein Schreiber und erst bei deiner zweiten Inquisition. Wie ist das möglich?«
    »Ich weiß nicht«, flüsterte Michel und schauderte ob der Mühe, die ihn seine Worte kosteten. »Aber wenn Ihr mir die Wahrheit sagt, warum fällt mir nicht alles wieder ein?« »Der Feind enthält es dir noch vor.« Sybille hielt inne, und ihre sonst so ruhige Miene verriet den inneren Aufruhr, den Kummer, ihre Leidenschaft und das Verlangen einer Frau. Schließlich sagte sie mit bebender Stimme: »Luc ... Geliebter. Ich habe so lange darauf gewartet, dich zu finden, dir zu sagen ... Wenn du mir nur für eine kurze Zeit vertrauen könntest ...«
    Sie wollte ihn umarmen, obwohl es ihr offensichtlich Schmerzen bereitete, und Michel sehnte sich über alle Maßen danach, diese Umarmung zu erwidern, doch wieder hielt ihn eine unsichtbare Barriere auf und zwang ihn, sich vor ihr zurückzuziehen.
    Sie hat dich verhext, mein Sohn. Alles ist gelogen, eine teuflische Verführung.
    Er hielt der stillen Stimme seines Vaters einen verzweifelten Gedanken entgegen: Nein, lass mich zu ihr. Ich habe auf sie gewartet, habe sie gekannt, mein Leben lang. Hundert heben lang ... Dennoch konnte er nicht aufstehen, konnte nicht die Arme nach ihr ausstrecken.
    Sybille zog die Hände zurück und senkte rasch den Kopf, damit er sie nicht weinen sah.
    Erschüttert sagte Michel mit einer plötzlichen Willensanstrengung: »Ich will alles tun, um Euch vor dem Scheiterhaufen zu retten.«
    Sie schüttelte den Kopf, ohne dass er ihr Gesicht erkennen konnte, und als sie sich wieder gefangen hatte, erwiderte sie: »Du willst, aber du kannst nicht, denn du wirst noch immer von Chretien beherrscht. Erst müssen dein Gedächtnis und deine Macht wiederhergestellt sein, bevor du mir helfen kannst.«
    »Wie?«
    Sie schaute auf, und auf ihren Wangen und in ihren Augen glitzerten Tränen. »Wie ich selbst musst auch du dich deiner größten Furcht stellen.«
    »Meine einzige Furcht ist, dass man Euch keine gerechte Anhörung gewährt.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das ist Michels Furcht. Ich rede mit dir, Luc. Du musst dich der Göttin ergeben und dich weigern, deiner größten Furcht nachzugeben. Der Feind wächst an unserer Furcht, sie vergrößert seine Kraft und macht uns verwundbar. Deshalb musste ich mich meiner Furcht stellen und meinem Geliebten als Feind begegnen« - an dieser Stelle fuhr sie ihm mit ihren schmerzverkrümmten Fingern tröstend über die Wange -, »bevor ich nach Avignon kam, um dich zu finden. Und nur so hat Chretien Macht über dich bekommen, durch deine Furcht.« Sybille hielt inne und lehnte sich wieder an die Steinwand. »Geh. Denke nach über alles, was dir als Luc offenbart wurde. Erinnere dich an deine wahre Vergangenheit, dann wird dir die Freiheit gegeben.«
    So kam es, dass Michel sie verließ, sich selbst nur zu bewusst, dass ihm weniger als eine Hand voll Stunden blieb, eine Entscheidung zu fällen. Die Entscheidung, ob er ihr zur Flucht verhelfen und mit ihr gehen, oder ihr Geständnis an den Kardinal weiterleiten sollte. Geist und Körper litten Schmerzen, und seine Gedanken jagten durcheinander wie im fiebrigen Delirium.
    Ich liebe sie ... Was auch geschieht, ich muss ihr zur Flucht verhelfen. Ich kann sie nicht sterben lassen. Sie ist heilig, eine wahre Heilige.
    Sie ist eine Hexe, eine Seherin, und sollte dementsprechend verurteilt werden. Du bist ein Opfer des Teufels, Michel, wenn du dich so von einer Frau manipulieren lässt. Warum glaubst du in ihrer Gegenwart vor Begierde zu brennen? Es ist ein Zauber, ein einfacher Zauber, und du bist der größte Narr ...
    Gott, hilf mir. Gott, hilf mir. Ich bin verhext worden, aber ich weiß nicht, von wem.
    Auf seinem raschen Weg durch die Nacht zurück zum Kloster fiel ihm am Ende der Straße der Palast des Bischofs auf, Teil der Befestigungsanlage der Stadt, als sich plötzlich die Tore weit öffneten und den großen, vergoldeten Wagen mit dem Wappen des Kardinals Chretien passieren ließen.
    Michel ging ziellos weiter, doch schließlich fand er sich am Bett seines Mentors wieder.
    Vater Charles, dem Tode nahe, lag noch immer reglos auf den weichen Polstern, und es hörte sich so an, als sei er kaum noch in der Lage, den nächsten schwachen Atemzug zu tun. Außer dem Knacken des Feuers war dies das einzige

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