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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Geräusch im Zimmer. Auf dem Stuhl neben dem Bett schlief Bruder Andre wie ein Stein.
    Wortlos schüttelte Michel den alten Mönch an der Schulter. Andre wachte auf, die schweren Augenlider hoben sich langsam von den alten, wässrigen Augen. Michel bat ihn mit einer Geste, den Raum zu verlassen, was Bruder Andre so leise wie möglich tat, um den Patienten nicht zu stören. Doch an der Tür blieb er stehen, wandte sich um und meinte mit leiser Stimme: »Ich habe schon viele Pestkranke gepflegt, aber noch nie habe ich erlebt, dass sich jemand so lange gegen den Tod wehrt, mein Freund. Betet weiter für ihn, Gott hört es bestimmt.«
    Als Bruder Andre gegangen war, stand Michel neben seinem geliebten Mentor, die Hand auf dem vom Fieber heißen Leinen über der Brust des Priesters. Charles' Atem rasselte, seine Lippen waren trocken und entblößten gelbliche Zähne, die Wangen waren grau und eingefallen, und um die Augen lagen dunkle Ränder.
    Mitleid und Gram überkamen den jungen Mönch. Michel fiel neben dem Bett auf die Knie, legte die andere Hand ebenfalls auf Charles' Brust und weinte.
    Da tauchte vor ihm ein Bild auf, und er war mit einem Mal der kleine Luc, der heimlich durch die dunkle Burg zum Schlafgemach seines kranken Vaters schleicht.
    Der Oberschenkel seines Vater, zum Zweifachen des normalen Umfangs angeschwollen, unter einem Senfumschlag. Seine Traurigkeit war plötzlich verwandelt in ein Gefühl der Richtigkeit, der Wärme, der Kraft, und er verspürte in seinem Inneren ein nie gekanntes Glück ... Noch dazu fühlte er, dass er ein Ziel hätte. Seine kleinen Hände legten sich auf das Bein des Vaters, und die summende Wärme, die Liebe ging von ihm auf den Vater über und erneuerte sich stetig, sodass Luc ganz erfüllt davon war ...
    »Göttin«, flüsterte Michel und drückte sein tränennasses Gesicht in die Leinentücher von Charles' Matratze. »Diana, Artemis, Hecate, wie immer du genannt wirst, höre mich: Dir ergebe ich mich. Ich ergebe mich. Ich ergebe mich, wenn du mir nur die Kräfte wiedergibst, die mir angeboren sind. Lass sie mich durchströmen, wie du es getan hast, als ich meinen Vater vor so langer Zeit geheilt habe, und heile auch diesen armen Mann, Vater Charles. Er ist ein Christ, ein guter Mann, und obwohl er den Tod vieler aus unserem Geschlecht verursacht hat, wird er bereuen, wenn er seinen Irrtum erkennt. Bitte, hilf mir, Göttin ...!«
    So betete er, bis sich sein Herz etwas beruhigte, und als eine gewisse Ruhe über ihn gekommen war, stand er auf, die Hände noch immer auf Charles' Brust.
    Wärme, Wonne stieg allmählich in ihm auf. Einen Moment lang lächelte Michel und stellte sich den Priester vor, der die Augen vor Überraschung und Freude weit aufgerissen hatte und sagte:
    Michel. Michel, lieber Neffe, du hast mich gerettet...
    Und noch während er auf Charles herabblickte, schlug dieser tatsächlich langsam die Augen auf, und sein Mund öffnete sich. Eine zarte Färbung trat in seine Wangen.
    »Vater?«, fragte Michel, und seine Stimme zitterte vor freudiger Erregung.
    »Michel«, röchelte der Priester und schaute mit verschleiertem Blick zur Decke und darüber hinaus. Die Stimme des Priesters war so schwach, dass der junge Mönch sich hinunterbeugte, bis sein Ohr beinahe die Lippen des alten Mannes berührte. »Hat sie dich zurückgewonnen?«
    »Ja, Vater. Aber Ihr seid jetzt geheilt, bei Gott, mit ihrer Hilfe, es wird Euch besser gehen. Versteht Ihr?«
    Ja. Die Lippen des Priesters formten das Wort, doch kein Laut drang aus seinem Mund. Dann sagte er mit plötzlicher Kraft, die eine äußere Macht ihm einzuflößen schien: »Ich gehe nun in die Fänge der Hölle.« Ein heftiger Atemstoß entwich seiner Lunge.
    Sein Gesicht wurde schlaff, sein Blick unscharf und vollkommen ausdruckslos, ein Strom blutigen Schleims trat aus seinem Mundwinkel und tropfte auf sein Leinenhemd.
    »Vater?«, fragte Michel noch einmal, und diesmal schwang Furcht in seiner Stimme mit. Sybille hatte ihn davor gewarnt, er dürfe der Furcht nicht nachgeben, doch sie hatte nichts von Kummer gesagt. Sofort hob er seine jetzt zitternden Hände von der Brust des Priesters, legte stattdessen sein Ohr darauf und strengte sich an, etwas zu hören. Lange verharrte er in dieser Haltung, doch Vater Charles' Brustkorb hob und senkte sich nicht, und auch sein Herz schlug nicht mehr.
    Zerrissen vor Schmerz legte Michel den Kopf in den Nacken, schaute zur Decke und heulte auf.
    »Ich habe ihn umgebracht«,

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